Womöglich handelte es sich auch gar nicht um einen Berg, sondern lediglich um einen Hügel. Der Monte Conero ist zwar eine imposante Erhebung in der Landschaft, aber letztendlich nur 572 Meter hoch.
Ein poetischer Versuch, der den Titel: Annäherung an einen Hügel trüge, wäre allerdings von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Ab wann ist ein Berg ein Berg?
Stop making sense, Elsa.
Für die Ameise neulich war dein Unterarm Südamerika.
ElsaLaska - 20. Apr, 23:41
Betrachtet die Schreiberin die Farben des Berges, so dominiert das Weiß der Kreide, das in sich selbst alle Farben enthält. Der Berg ist Grün (Pinien und Lorbeer), Blau (Wacholder), Rot (die wilden Erdbeeren, die roten Trauben), und wenn der Ginster blüht, ist auch noch Gelb vertreten. Nur wieso mangelt es dem Berg an Schwarz?
Es mangelt ihm nicht, ist die Antwort, das Schwarz ist nur woanders.
Dazu muss man wissen, dass sich jenseits des Berges, als sein Gegenüber, die Wallfahrtskirche von Loreto auf einem Felsensporn Richtung Meer schiebt. Die Madonna von Loreto ist eine schwarze Madonna. Wie die von Altötting oder Tschenstochau. Nun wird viel Gewese gemacht um schwarze Madonnen, von allen Seiten, nur nicht von der Kirche.
Die Schwarzen Madonnen seien schwarz, weil der Ruß der Kerzen sie über die Jahrhunderte überzogen hat. Kerzen sind Heiligtümern aller Art wesensimmanent, aber niemand hat von einem schwarzen Jesus, einen schwarzen Joseph oder einem schwarzen Padre Pio bislang gehört. Nein, hartnäckig handelt es sich ausschließlich um Madonnen, die dem Rußphänomen unterliegen.
"Bei dem in dieser Gegend ansässigen Stamm der Picener [ein Nachbarvolk der Etrusker, welches einen Spechtvogel als Totemtier führt - Anm. Elsa] galt - wie bei anderen Stämmen im Mittelmeerraum - Schwarz als die Farbe des Urseins, der Fruchtbarkeit. " (Aus: Die Marken. Unbekanntes Italien zwischen Adria und Apennin von Sattler/Tolkmitt). Die Schwarze Madonna von Loreto verweise auf die Mondgöttin Cupra, möglicherweise identisch mit Aphrodite, der vorchristlichen Schutz- und Muttergöttin dieser Gegend. Und tatsächlich tragen benachbarte Orte den Namen Cupra Montana und Cupra Marittima.
"Ubi tu Gaius, ego Gaia". Wo "der Sonne" ist, da wird auch "die Mond" sein. (In fast allen europäischen Sprachen ist Sonne männlich und Mond weiblich, außer im Deutschen)
Der Monte Conero ein Sonnenberg, umgeben von den Signaturen des Mondes.
ElsaLaska - 20. Apr, 23:12
Sicher ist es erstaunlich, dass ein Wein wie der Rosso Conero nach Beeren schmeckt, wo die einzigen Beeren um ihn her doch wilde Erdbeeren sind und schwarze Wacholderbeeren. Gesetzt den Fall, die Rebe hat ein Bewusstsein, wovon wir an dieser Stelle einmal ausgehen wollen, so hat sie einfach versucht, die Mitte zwischen den beiden Extrembeeren zu finden. Wer den Rosso Conero zu gegrilltem Lamm trinkt, der wird Wacholdernoten zu finden wissen. Dass alles ein Bewusstsein hat, ist eine Erkenntnis, die sich jenseits aller Esoterik durchzusetzen beginnt, und das verdanken wir merkwürdigerweise der Theoretischen Physik.
Dass es überhaupt lange Zeit in Vergessenheit geriet, mag daran liegen, dass die Physiker vom alten Schlage nicht in Häusern wohnten, bei denen die Eidechsen zu den Fenstern hineinschauen und die Rotkehlchen zu den geöffneten Türen hereinfliegen. Anders herum gesagt: Wer jemals erlebt hat, wie eine Ameise auf ihrer Straße ruhig und gelassen ihrer Wege geht und sie sich nachher auf den Unterarm setzt, wo sie hektisch zu rennen beginnt, der weiß, dass selbst das winzigste Tier, die niedrigste Lebensform ebenso Zeichen der Entspannung wie Stress, Verzweiflung wie Zufriedenheit ausstrahlen vermag - ergo Gefühle haben mag, mindestens, wenn nicht gar eine Seele. Noch schwieriger als den Berg zu besingen wäre es womöglich, die verirrte Ameise zu preisen. Das ist hier auch nicht das Anliegen.
Zurück zum Berg.
Die das schreibt, wohnt nicht auf ihm, auch nicht in nächster Nähe, sie kann ihn aber über den Hügeln aufragen sehen bei klarem Wetter, als ein Signal wie das Tuten eines Nebelhorns bei trübem. Oder, um es visuell zu sagen: ein icon.
Es ist auch nicht so, dass es ihr an Bergen mangelt. Ein Blick zum gegenüberliegenden Horizont zeigt die nepalesisch anmutenden Ausblicke auf die verschneiten Gipfel des Monte Vettore und des Monte Sibilla. Dass hier noch keine Annäherung stattfinden kann, liegt einzig daran, dass die Schreiberin noch nie in den Sibillinischen Bergen war. Dagegen hat der Ruf des Conero sie längst erreicht. Es ist ja eine gänzlich andere Sache, einen Berg zu besingen, den man nur von weitem sieht, aber noch nie betreten hat.
ElsaLaska - 20. Apr, 22:54
Es ist nicht leicht, einen Berg zu besingen. Dass es nicht einfach werden würde, wurde mir bereits klar, als ich das allererste Mal knapp unterhalb seines Gipfels eine Schautafel mich darüber informierte, dass vor 90 Millionen Jahren an dieser Stelle, an der ich mich nun befand, ein kreidezeitliches Meer, ein Urmeer, ein Pleistozän oder Kambrium oder wie zur Hölle es heißt, sich emporwölbte. Sofort fühlte ich mich von Wassermassen erdrückt. Dabei merkt man dem Berg seine unterseeische Vergangenheit nicht an, bis auf die Tatsache, dass er eben aus purer Kreide besteht. So blendend weiß wie kaum eine Substanz auf dieser Erde. Nicht ins Bläuliche spielend wie Milch, nicht Elfenbein mit seinen Tönungen von in der Sonne gebleichten Knochen, nicht weiß wie alte Asche in einem Feuer, das lange gebrannt und dessen Herz geglüht und alt darüber geworden ist. Was der Asche die Glut, das waren diesem Berg Wellen und Wind, die verglichen mit der Erde, die ihn trägt, sanft mit ihm umgegangen sind. Sie haben ihn gestreichelt, seine Flanken sanft geformt und dafür gesorgt, dass seine Hänge sich ihrer Bestimmung gewiss wurden, ohne darüber schroff und abweisend zu werden: Das Hinabtauchen ins Meer.
Dagegen die Erde machte sich hin und wieder die grausame Freude, ihn zu erschüttern, der Monte Conero hat alle Arten Beben hinter sich - und weil ihr das nicht genug war und sie sein Blut sehen wollte, überzog sie die meerabgewandten Hänge mit Reben - sie stach in seine Seite und es kam Wasser und Blut heraus, das Blut edelster Montepulciano-Reben und damit ein Wein, wie es keinen zweiten gibt auf dieser Welt.
ElsaLaska - 20. Apr, 22:26
"Die enorme ästhetische Potenz des lateinischen Messeritus bestand gerade darin, dass man ihn nicht verstehen konnte - und dass er darin verstehbar war. Bevor sich religiöse Rede [...] in Ethik aufgelöst hatte, war sie eher Ethos, Haltung, Form. Sie hat die Asymmetrie zwischen Schöpfer und Geschöpf, zwischen Priester und Laie, zwischen Glauben und Wissen ausgehalten."
aus "Warum die Welt katholischer wird" von Armin Nassehi, Die ZEIT Nr. 16 vom 12.4.07, S. 54
ElsaLaska - 20. Apr, 18:05