Als links sein noch authentisch war.
Von meinem 15. bis circa 30. Lebensjahr konnte man mich in die Riege der jungen Linksautonomen einordnen. Ich trug zerrissene Fiorucci-Jeans, völlig unmögliche Haartrachten, teilweise mit rot eingefärbtem Sowjetstern - okay, mit 30 nicht mehr - und ging an den Wochenenden in irgendwelche besetzten Häuser, um grauenvolle Dilettanten ihre Version von Punk spielen zu hören. Ich hatte diesen lila Frauenkalender, wechselte meine männlichen Freunde wie die Unterhosen, wobei die Unterhosen aber höchstwahrscheinlich noch ansehnlicher waren als die versifften Gestalten, mit denen ich Bett und Gedanken teilte. Those we're the days.
Es waren schöne Zeiten. Ich wurde im Bus beschimpft, nur weil ich auftoupierte blondierte Haare hatte, und einmal zog ich mich richtig schön wasserfest an, weil mir mein damaliger Freund ankündigte, es ginge ins linksautonome Zentrum und Skinhead-Besuch - also Kampf - war angesagt. Dann hatte er aber Karten für die Vorpremiere des Käthchens von Heilbronn am Wiesbadener Staatstheater ergattert, wir gingen spontan also dann nach dort, und so saß ich dann recht outlaw mäßig dort mit Springerstiefeln und Lederjacke.
Im schlimmsten aller Fälle rissen wir die RCDS-Plakate an unserer Uni ab, in denen irgendwelche Gesprächsrunden zu Europa oder Pro-Kernkraft angekündigt waren.
Möglicherweise glorifiziere ich diese Zeit, ich kann mich tatsächlich aber nicht daran erinnern, dass es mehr gewesen wäre als ein Spiel, ein Lebensstil, der sich eben von dem der BWL-Studenten und RCDS-Mitglieder durch vermehrte Buntheit auszeichnete - aber nicht bösartig war oder gewalttätig. Ich habe nie mit Pflastersteinen geworfen und lieber still und fein ruhig in der Bude "Die permanente Revolution" von Trotzki gelesen. Möglicherweise gab es schon damals diese absolut verkrampften Linken, die nach guter deutscher Manier die Welt verbessern wollten, wahrscheinlich sogar. Wahrscheinlich wurde auch agitiert gegen die Rechte, die Neonazis, die Skinheads, obwohl es da gar nicht viel zu agitieren gab, wenn sich halt irgendwelche im linksautonomen Zentrum blicken ließen, gab es ein bisschen emotional befreite Gewaltausagierung - viel ernsthaftes ist da nie passiert.
25 Jahre später trägt man nicht mehr nietenbesetzte Lederjacke, Che-Barett und löchrige Designerjeans, sondern großkarierte Strickweste, Schlappen und T-Shirt unter ungebügeltem Hemd. Man ist kritisch und wachsam gegen Rechts und vor allem gegen das sogenannte Rechtskatholische. Ich frage mich, was haben diese Leute eigentlich gemacht, während ich noch linksautonom war? Linksautonom können sie nicht gewesen sein, sind es vielleicht alte enttäuschte RCDSLER, die umgeschwenkt sind? Was sind das für Lebensläufe? Sollten und könnten das wirklich Leute sein, die in den Achtzigern, während meiner autonomen Phase, schon Alt-68er waren und es jetzt immer noch sind? Gibt es keine persönliche Entwicklung? Und wenn es eine gibt, wieso haben sie es so dringend nötig, andere, nicht mehr Linke, von denen es genügend gibt, in eine Reihe mit Holocaust-Leugnern, Neonazis und Kinderporno-Konsumenten zu stellen? Mit der RAF? Mit fundamentalistischen Glaubenskommandos der Taliban? Typisch deutsches Denunziantentum also, nur jetzt nach links gewendet? Im Namen von Demokratie, Freiheit, Individualismus und dem Recht, auf seine eigene Meinung zu insistieren, nur dabei möglichst die von anderen, Andersdenkenden, total zu diffamieren?
Zum ersten Mal fiel mir das so richtig in der Öffentlichkeit bei Eva Herman auf. Zu der Zeit hielt ich Eva Herman für ziemlich beknackt, aber unter ferner liefen. Was die multimediale Öffentlichkeit dann daraus gemacht hat - und was in den Achtzigern noch unter beknackt aber ferner liefen gut untergebracht gewesen wäre, - ist im 21. Jahrhundert zur stellvertretenden Gerichtbarkeit der Rechtschaffenen und Mündigen, Aufgeklärten und Antifa-Bewegten geworden, die mittlerweile, und da muss ich mich mehrmals verwundert umschauen, die öffentliche Meinung und den öffentlichen Meinungsterror stellen darf.
Irgendwas habe ich in diesen fünfzehn, zwanzig Jahren verpasst. Wo waren all diese rechtschaffenen, Autobahn-geht-gar-nicht-Proklamierer denn beispielsweise 1986? Was haben sie gemacht? Wir haben damals unserem greisen Onkel schon übers Maul gefahren, wenn er bei einem Leichenschmaus alte Stories erzählte und erklärte, Hitler hätte schließlich die tollen Autobahnen gebaut. Alle erzählten das eigentlich, und zwar ganz normale Leute, des Neonazitums völlig unverdächtig. Was habe ich gemacht?
Ich habe entweder die Schultern gezuckt, aus Liebe, wenn der Onkel gar zu alt war, wenn er noch ansprechbar war, habe ich ihm erzählt, dass das so nicht geht. Autobahnen rechtfertigen keinen Mord an religiösen Minderheiten. Der Onkel hat es dann versucht nachzuvollziehen, aber man hat sich dann trotzdem gemocht.
Und im weiteren Gespräch, angestoßen durch die Autobahnen, kam dann raus, dass er Hitler ja eigentlich total scheiße fand. Wie jeder normale und vernünftige Mensch ja auch.
Diese Regel, ich möchte sie die Leichenschmaus-Regel nennen, gilt offenbar im öffentlichen Diskurs nicht mehr.
Empörung ja, ein Gespräch deswegen anstoßen bloß nicht. Stattdessen in die Ecke stellen, diffamieren, denunzieren. Abqualifizieren. Warum? Weil niemand mehr mit dem greisen Onkel ins Gespräch kommen will. Wichtiger ist es, sich zu empören, herumzuschreien, auszugrenzen. Sich selbst zu positionieren.
Das ist übrigens der Grund, warum ich keinen Bock mehr auf Links Sein habe.
Es waren schöne Zeiten. Ich wurde im Bus beschimpft, nur weil ich auftoupierte blondierte Haare hatte, und einmal zog ich mich richtig schön wasserfest an, weil mir mein damaliger Freund ankündigte, es ginge ins linksautonome Zentrum und Skinhead-Besuch - also Kampf - war angesagt. Dann hatte er aber Karten für die Vorpremiere des Käthchens von Heilbronn am Wiesbadener Staatstheater ergattert, wir gingen spontan also dann nach dort, und so saß ich dann recht outlaw mäßig dort mit Springerstiefeln und Lederjacke.
Im schlimmsten aller Fälle rissen wir die RCDS-Plakate an unserer Uni ab, in denen irgendwelche Gesprächsrunden zu Europa oder Pro-Kernkraft angekündigt waren.
Möglicherweise glorifiziere ich diese Zeit, ich kann mich tatsächlich aber nicht daran erinnern, dass es mehr gewesen wäre als ein Spiel, ein Lebensstil, der sich eben von dem der BWL-Studenten und RCDS-Mitglieder durch vermehrte Buntheit auszeichnete - aber nicht bösartig war oder gewalttätig. Ich habe nie mit Pflastersteinen geworfen und lieber still und fein ruhig in der Bude "Die permanente Revolution" von Trotzki gelesen. Möglicherweise gab es schon damals diese absolut verkrampften Linken, die nach guter deutscher Manier die Welt verbessern wollten, wahrscheinlich sogar. Wahrscheinlich wurde auch agitiert gegen die Rechte, die Neonazis, die Skinheads, obwohl es da gar nicht viel zu agitieren gab, wenn sich halt irgendwelche im linksautonomen Zentrum blicken ließen, gab es ein bisschen emotional befreite Gewaltausagierung - viel ernsthaftes ist da nie passiert.
25 Jahre später trägt man nicht mehr nietenbesetzte Lederjacke, Che-Barett und löchrige Designerjeans, sondern großkarierte Strickweste, Schlappen und T-Shirt unter ungebügeltem Hemd. Man ist kritisch und wachsam gegen Rechts und vor allem gegen das sogenannte Rechtskatholische. Ich frage mich, was haben diese Leute eigentlich gemacht, während ich noch linksautonom war? Linksautonom können sie nicht gewesen sein, sind es vielleicht alte enttäuschte RCDSLER, die umgeschwenkt sind? Was sind das für Lebensläufe? Sollten und könnten das wirklich Leute sein, die in den Achtzigern, während meiner autonomen Phase, schon Alt-68er waren und es jetzt immer noch sind? Gibt es keine persönliche Entwicklung? Und wenn es eine gibt, wieso haben sie es so dringend nötig, andere, nicht mehr Linke, von denen es genügend gibt, in eine Reihe mit Holocaust-Leugnern, Neonazis und Kinderporno-Konsumenten zu stellen? Mit der RAF? Mit fundamentalistischen Glaubenskommandos der Taliban? Typisch deutsches Denunziantentum also, nur jetzt nach links gewendet? Im Namen von Demokratie, Freiheit, Individualismus und dem Recht, auf seine eigene Meinung zu insistieren, nur dabei möglichst die von anderen, Andersdenkenden, total zu diffamieren?
Zum ersten Mal fiel mir das so richtig in der Öffentlichkeit bei Eva Herman auf. Zu der Zeit hielt ich Eva Herman für ziemlich beknackt, aber unter ferner liefen. Was die multimediale Öffentlichkeit dann daraus gemacht hat - und was in den Achtzigern noch unter beknackt aber ferner liefen gut untergebracht gewesen wäre, - ist im 21. Jahrhundert zur stellvertretenden Gerichtbarkeit der Rechtschaffenen und Mündigen, Aufgeklärten und Antifa-Bewegten geworden, die mittlerweile, und da muss ich mich mehrmals verwundert umschauen, die öffentliche Meinung und den öffentlichen Meinungsterror stellen darf.
Irgendwas habe ich in diesen fünfzehn, zwanzig Jahren verpasst. Wo waren all diese rechtschaffenen, Autobahn-geht-gar-nicht-Proklamierer denn beispielsweise 1986? Was haben sie gemacht? Wir haben damals unserem greisen Onkel schon übers Maul gefahren, wenn er bei einem Leichenschmaus alte Stories erzählte und erklärte, Hitler hätte schließlich die tollen Autobahnen gebaut. Alle erzählten das eigentlich, und zwar ganz normale Leute, des Neonazitums völlig unverdächtig. Was habe ich gemacht?
Ich habe entweder die Schultern gezuckt, aus Liebe, wenn der Onkel gar zu alt war, wenn er noch ansprechbar war, habe ich ihm erzählt, dass das so nicht geht. Autobahnen rechtfertigen keinen Mord an religiösen Minderheiten. Der Onkel hat es dann versucht nachzuvollziehen, aber man hat sich dann trotzdem gemocht.
Und im weiteren Gespräch, angestoßen durch die Autobahnen, kam dann raus, dass er Hitler ja eigentlich total scheiße fand. Wie jeder normale und vernünftige Mensch ja auch.
Diese Regel, ich möchte sie die Leichenschmaus-Regel nennen, gilt offenbar im öffentlichen Diskurs nicht mehr.
Empörung ja, ein Gespräch deswegen anstoßen bloß nicht. Stattdessen in die Ecke stellen, diffamieren, denunzieren. Abqualifizieren. Warum? Weil niemand mehr mit dem greisen Onkel ins Gespräch kommen will. Wichtiger ist es, sich zu empören, herumzuschreien, auszugrenzen. Sich selbst zu positionieren.
Das ist übrigens der Grund, warum ich keinen Bock mehr auf Links Sein habe.
ElsaLaska - 18. Mär, 21:04