vor den Vertretern der Weltreligionen und Nichtglaubenden in der Basilika Santa Maria degli Angeli, Assisi.
>>Die Religionskritik seit der Aufklärung hatte immer wieder behauptet, Religion sei Ursache von Gewalt und hatte damit die Feindseligkeit gegen die Religionen genährt. Daß hier Religion in der Tat Gewalt motiviert, muß uns als religiöse Menschen tief beunruhigen. In einer subtileren, aber immer noch grausamen Weise sehen wir Religion als Ursache von Gewalt auch dort, wo von Verteidigern einer Religion gegen die anderen Gewalt angewendet wird. Die 1986 in Assisi versammelten Religionsvertreter wollten sagen, und wir wiederholen es mit Nachdruck und aller Entschiedenheit: Dies ist nicht das wahre Wesen der Religion. Es ist ihre Entstellung und trägt zu ihrer Zerstörung bei. Dagegen wird der Einwand erhoben: Woher wißt ihr überhaupt, was das wahre Wesen von Religion ist? Kommt euer Anspruch nicht davon her, daß bei euch die Kraft der Religion erloschen ist? Und andere werden einwenden: Gibt es überhaupt ein gemeinsames Wesen der Religion, das sich in allen Religionen ausdrückt und daher für alle gültig ist? Diesen Fragen müssen wir uns stellen, wenn wir realistisch und glaubhaft dem religiös begründeten Gebrauch von Gewalt entgegentreten wollen. Hier liegt eine grundlegende Aufgabe des interreligiösen Dialogs – ein Auftrag, der von dieser Begegnung erneut unterstrichen werden soll. Als Christ möchte ich an dieser Stelle sagen: Ja, auch im Namen des christlichen Glaubens ist in der Geschichte Gewalt ausgeübt worden. Wir bekennen es voller Scham. Aber es ist vollkommen klar, daß dies ein Mißbrauch des christlichen Glaubens war, der seinem wahren Wesen offenkundig entgegensteht. Der Gott, dem wir Christen glauben, ist der Schöpfer und Vater aller Menschen, von dem her alle Menschen Brüder und Schwestern sind und eine einzige Familie bilden. Das Kreuz Christi ist für uns das Zeichen des Gottes, der an die Stelle der Gewalt das Mitleiden und das Mitlieben setzt. Sein Name ist „Gott der Liebe und des Friedens" (2 Kor 13,11). Es ist die Aufgabe aller, die für den christlichen Glauben Verantwortung tragen, die Religion der Christen immer wieder von ihrer inneren Mitte her zu reinigen, damit sie gegen die Fehlbarkeit des Menschen wirklich Instrument von Gottes Frieden in der Welt ist.<<
>>Die Feinde der Religion sehen – wie wir gesagt hatten – in der Religion eine Hauptquelle der Gewalt in der Menschheitsgeschichte und fordern damit das Verschwinden der Religion. Aber das Nein zu Gott hat Grausamkeiten und eine Maßlosigkeit der Gewalt hervorgebracht, die erst möglich wurde, weil der Mensch keinen Maßstab und keinen Richter mehr über sich kennt, sondern nur noch sich selbst zum Maßstab nimmt. Die Schrecknisse der Konzentrationslager zeigen in aller Deutlichkeit die Folgen der Abwesenheit Gottes.<<
Der Heilige Vater streicht nun insbesondere den hohen Stellenwert der Menschen heraus, die auf der Suche sind, aber einfach nicht glauben können. Es ist eine für mich beispiellose Würdigung, ein großartiger Zuspruch und ein Wertschätzung für diejenigen, die auf der Suche sind, auch wenn sie nicht darunter leiden, aber insbesondere für diejenigen, die darunter eventuell leiden:
>>Neben den beiden Realitäten von Religion und Antireligion gibt es in der wachsenden Welt des Agnostizismus noch eine andere Grundorientierung: Menschen, denen zwar das Geschenk des Glaubenkönnens nicht gegeben ist, die aber Ausschau halten nach der Wahrheit, die auf der Suche sind nach Gott. Solche Menschen behaupten nicht einfach: „Es ist kein Gott." Sie leiden unter seiner Abwesenheit und sind inwendig, indem sie das Wahre und das Gute suchen, auf dem Weg zu ihm hin. Sie sind „Pilger der Wahrheit, Pilger des Friedens". Sie stellen Fragen an die eine und an die andere Seite. Sie nehmen den kämpferischen Atheisten ihre falsche Gewißheit, mit der sie vorgeben zu wissen, daß kein Gott ist, und rufen sie auf, statt Kämpfer Suchende zu werden, die die Hoffnung nicht aufgeben, daß es die Wahrheit gibt und daß wir auf sie hin leben können und müssen. Sie rufen aber auch die Menschen in den Religionen an, Gott nicht als ihr Besitztum anzusehen, das ihnen gehört, so daß sie sich damit zur Gewalt über andere legitimiert fühlen. Sie suchen nach der Wahrheit, nach dem wirklichen Gott, dessen Bild in den Religionen, wie sie nicht selten gelebt werden, vielfach überdeckt ist. Daß sie Gott nicht finden können, liegt auch an den Gläubigen mit ihrem verkleinerten oder auch verfälschten Gottesbild. So ist ihr Ringen und Fragen auch ein Anruf an die Glaubenden, ihren Glauben zu reinigen, damit Gott, der wirkliche Gott zugänglich werde. Deshalb habe ich bewußt Vertreter dieser dritten Gruppe zu unserem Treffen nach Assisi eingeladen, das nicht einfach Vertreter religiöser Institutionen versammelt. Es geht vielmehr um die Zusammengehörigkeit im Unterwegssein zur Wahrheit, um den entschiedenen Einsatz für die Würde des Menschen und um das gemeinsame Einstehen für den Frieden gegen jede Art von rechtszerstörender Gewalt. Am Schluß möchte ich Ihnen versichern, daß die katholische Kirche nicht nachlassen wird im Kampf gegen die Gewalt, in ihrem Einsatz für den Frieden in der Welt. Wir sind von dem gemeinsamen Wollen beseelt, „Pilger der Wahrheit, Pilger des Friedens" zu sein.<<
Eigentlich wollte ich nur ein paar kurze Zitate bringen, aber die Rede war wieder so beeindruckend, dass ich sie nun fast ganz hier stehen habe.
Zum Nachlesen aber
hier.