Erstklassiger Artikel zum sogenannten "selbstbestimmten Sterben"
von Christian Geyer-Hindemith auf den Seiten der FAZ.
Ein Auszug:
>>Er möchte „nicht als Pflegefall enden, der von anderen Leuten gefüttert und abgeputzt werden muss“, erklärte Udo Reiter mit geschlossenen Augen auf Plakaten, die Werbung für den Suizid machen. Welch ein Affront, nicht nur gegen die Pflegedienste und die Angehörigen, die sich kümmern, sondern auch gegen die conditio humana, die in ihrer Schwäche aufs Füttern und Abputzen schlicht angewiesen ist. Natürlich kann man sich über seine Bedingtheiten hinwegsetzen, indem man sich rechtzeitig wegspritzt oder über den Haufen schießt. Aber eine Gesellschaft, für die Selbstbestimmung nur heißt, alles im Griff zu haben, hat als Kontrollgesellschaft schon verloren, im Leben wie im Sterben.
Die Diagnose der Schwäche ist eben nicht nur eine Tatsache. Sie geht mit einer Bedeutungszuschreibung einher. Gefüttert und abgeputzt zu werden, depressiv und dement zu sein - alles kommt darauf an, in solchen Labilitäten menschliche Existenzformen zu sehen und nicht deren Degeneration. Man kann sich der beunruhigenden Frage nicht entziehen: Was bedeutet es für den Lebensimpuls einer Gesellschaft, wenn sich Selbstbestimmung in der Vernichtung des Selbst erfüllt? Hat sich da ein Autonomie-Ideal nicht ad absurdum geführt?<<
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Ein Auszug:
>>Er möchte „nicht als Pflegefall enden, der von anderen Leuten gefüttert und abgeputzt werden muss“, erklärte Udo Reiter mit geschlossenen Augen auf Plakaten, die Werbung für den Suizid machen. Welch ein Affront, nicht nur gegen die Pflegedienste und die Angehörigen, die sich kümmern, sondern auch gegen die conditio humana, die in ihrer Schwäche aufs Füttern und Abputzen schlicht angewiesen ist. Natürlich kann man sich über seine Bedingtheiten hinwegsetzen, indem man sich rechtzeitig wegspritzt oder über den Haufen schießt. Aber eine Gesellschaft, für die Selbstbestimmung nur heißt, alles im Griff zu haben, hat als Kontrollgesellschaft schon verloren, im Leben wie im Sterben.
Die Diagnose der Schwäche ist eben nicht nur eine Tatsache. Sie geht mit einer Bedeutungszuschreibung einher. Gefüttert und abgeputzt zu werden, depressiv und dement zu sein - alles kommt darauf an, in solchen Labilitäten menschliche Existenzformen zu sehen und nicht deren Degeneration. Man kann sich der beunruhigenden Frage nicht entziehen: Was bedeutet es für den Lebensimpuls einer Gesellschaft, wenn sich Selbstbestimmung in der Vernichtung des Selbst erfüllt? Hat sich da ein Autonomie-Ideal nicht ad absurdum geführt?<<
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ElsaLaska - 22. Mär, 16:02
Aber wieso hast Du ein Problem damit, wenn Herr Reiter für sich selbst eine andere Entscheidung getroffen hat und seinen Weg durchgezogen hat?
Das sagen sie, natürlich. Aber wie oft steckt nicht doch eine Auffassung dahinter, die der sie Habende für allgemeingültig hält?
(Nota bene: Ob jemand für die Durchsetzung dieser Allgemeingültigkeit auch zu Polizeigewalt greifen würde, gäbe man ihm die Möglichkeit, ist hier *vollkommen irrelevant*. Das moralisch Gebotene ist gleichzubehandeln mit dem naturmäßig Notwendigen; daher steht "eigentlich müßtest du wirklich" bei der Grundsatzdiskussion auf der exakt gleichen Ebene wie "du mußt, und ich zwinge dich dazu"; erst in der Praxis wird letzteres ungemütlicher.)
Ich respektiere es, wenn jemand gerne Jahre lang gepflegt, gefüttert, gewindelt usw. werden will. Möchte aber auch, dass anderes es respektieren, wenn ich mich zu gegebenem Zeitpunkt für mich anders entscheide und das mit dem Arzt meines Vertrauens unter 4 Augen kläre.
@Dieter
Kannst du mir das erklären?
Sie entscheiden nicht für sich selbst, und ganz ohne irgendwie zur Sache was auszusagen. Das mögen sie behaupten, aber so funktioniert im allgemeinen der Mensch nicht. Und man kann ihn auch nicht mit einem "du sollst" zu etwas zwingen, was er nicht kann.
Heißt konkret: Ein Mensch, der sagt "ich möchte nicht wie ein Kleinkind gepflegt werden etc. etc.", der vielleicht tatsächlich auch dazusagt "das entspricht nicht meiner Würde als Mensch", der kann noch so oft dazusagen "das ist meine private Entscheidung und ich möchte niemandem", etc., etc. - tatsächlich trifft er das ganz allgemeine (und falsche) Werturteil: "ein solches Leben ist unwürdig und sollte künstlich beendet werden". Also auch bei anderen.
[Es mag vereinzelte Ausnahmen geben. Aber wohlgemerkt: bloß daß einer zu diesem - allgemeinen - Ergebnis seiner Gewissensentscheidung andere nicht mit Gewalt zwingen will, ist *keine* solche Ausnahme - allgemein ist sie dennoch.]
Es gibt keinen Menschen, den ich für unwürdig halte oder dessen Tötung ich befürworte. Ich bin nur für individuelle Selbstbestimmung des einzelnen Menschen über sein eigenes Leben.
@Elsalaska
Es gibt leider Situationen, aus denen es keinen Ausweg mehr gibt. Die Freiheit besteht eben darin, dass man sein Leben nicht zwingend weiterleben muss, wenn die Lebensumstände unerträglich sind.
Ich bin der Meinung, dass es sich dabei um eine absolut persönliche, intime Entscheidung handelt, die man mit sich selbst und mit den engsten Angehörigen ausmachen muss.
@Dieter
Wo lieber Dieter, wird aus meinem Post deutlich, dass ich mich gerne füttern und abputzen lassen möchte?
"Aber wieso hast Du ein Problem damit, wenn Herr Reiter für sich selbst eine andere Entscheidung getroffen hat und seinen Weg durchgezogen hat?"
Ich habe ein Problem damit, dass Herr Reiter, Gott hab in selig, seine Mutter als "anderer Leute" bezeichnet. Das haben unsere Mütter nicht verdient, die ja aus Liebe putzten und fütterten, als wir unsere Windeln noch unkontrolliert gefüllt haben.
@Gerd
Was Reiter spricht doch davon, dass er als erwachsener, selbstbestimmter Mensch durch Alter oder Krankheit in eine Situation versetzt wird, in der er seine Autonomie weitgehend verloren hat und nicht mehr selbst essen, sich nicht mehr waschen, seine Ausscheidungen nicht mehr kontrollieren kann etc.. Er müsste sich dann von anderen Leuten (Pflegerinnen) füttern, waschen, windeln und den Hintern abwischen lassen. Und das wäre das für ihn so unerträglich, dass er dieses Leben in dieser Form nicht mehr weiterleben möchte, sondern es vorzieht sein eigenes Leben vorher zu beenden.
Ich kann das verstehen und respektiere die Entscheidung, die Herr Reiter für sich selbst persönlich getroffen hat, wahrscheinlich auch in Absprache mit seinen engsten Angehörigen.
Das ist halt etwas ganz persönliches und geht meiner Meinung nach auch sonst niemanden was an, weder den Staat noch sonst wen.
@Dieter
>>nur weil ich für mich entscheide, dass ich so nicht leben möchte und deshalb mein Leben selbst beende, bin ich auch der Meinung, alle anderen Menschen in derselben Lebenssituation (Pflegebedürftigkeit) seien [recte: in einer] unwürdig[en Situation] und sollten [*gegen ihren Willen*] getötet werden,
sondern
* weil ich für mich entscheide [etc.], denke ich gleichzeitig (was ich nicht unbedingt auch wahrhaben will), daß dann natürlich logischerweise alle anderen Menschen in derselben Lebenssituation für sich dieselbe Entscheidung treffen müßten.
Dazu mag es Ausnahmen geben, aber im allgemeinen ist der Mensch viel logischer, als man sich das gemeinhin so träumen läßt.
/ Trennung. /
Da ja wie gesagt meine Überzeugung ist, daß die Menschen viel logischer sind, als man sich so träumen läßt, wäre doch, wenn man einmal annähme, es gäbe Situationen, die ein Mensch für so unerträglich hält, daß er lieber stirbt (Schachtelsatz bitte entschuldigen, aber ich habe nicht viel Zeit und kann nicht groß vereinfachen)...
wenn man dies als Hypothese annehmen würde...
mit welcher logisch stringenten Berechtigung sagt man dann dem Menschen, der gerade einen existenziellen Liebeskummer durchmacht, daß *er* sich *nicht* umbringen darf?