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"Es ist klar, daß hier nicht das Gespräch unter Spezialisten und über ein nur den Spezialisten interessierendes Thema gemeint ist. Gemeint ist das Gespräch über die den "Menschen überhaupt" betreffenden Gegenstände, die aber, natürlicherweise, von der Einzelforschung her immer neu fraglich gestellt werden und also immer neu zur Diskussion gestellt werden. Ich weiß sehr wohl, daß zu einem Streitgespräch dieser Art [gemeint ist die scholastische disputatio in ihrer strengen Form] einige Voraussetzungen gehören, die in den mittelalterlichen Universitäten offenkundig erfüllt waren und die heute anscheinend nicht erfüllt sind, zum Beispiel die gemeinsame Sprache und die einigermaßen einheitliche philosophisch-theologische Weltsicht. Aber es ist vielleicht doch nicht eine völlig utopische Zielsetzung, eine Erneuerung unserer Hochschulen zu versuchen - aus d e n Prinzipien, die das Werden der abendländischen Universität bestimmt haben, wozu unter anderem das Streitgespräch gehört. Es ist eben die Rede davon gewesen, welche Reinigung des öffentlichen Wesens durch die Beachtung einer bestimmten Disputationsregel in Gang gebracht werden könnte. Natürlich kann so etwas nur im modus irrealis gesagt werden. Wer aber nach den Gründen fragt, warum denn die öffentliche Diskussion so hoffnungslos entarten konnte, der kann sehr wohl auf den Gedanken kommen, vielleicht fehle nur das Paradigma, das "Modell", das überzeugende und normsetzende Beispiel der disputatio an dem Ort, an dem sie natürlicherweise zu Hause sein sollte: an der Universität."
Pieper, Josef: Thomas von Aquin. Leben und Werk.
Pieper, Josef: Thomas von Aquin. Leben und Werk.
ElsaLaska - 28. Dez, 21:44
Streitgespräche
Wenn heute (also ca. seit der sog. "Aufklärung") etwa ein gläubiger katholischer Theologe, ein liberaler protestantischer Gelehrter, ein Anthroposoph oder ein Psychoanalytiker beispielsweise über "Gott" diskutieren, dann hat ihr Gegenstand nicht nur je verschiedene Eigenschaften, sondern jeder meint damit etwas fundamental Anderes.
Ein einigermassen vernünftiges, wenn auch kontradiktorisches Gespräch (welches weiter reichen sollte als eine Darlegung der jeweils eigenen Terminologie und Position), ist daher leider absolut nicht mehr möglich.
Einverstanden,
(Du bist nicht gemeint, thysus).