Martin Mosebach: Der Leib der Kirche
"Über die Bedeutung der Liturgie für die Kirche zu sprechen ist auch heute noch ein schwieriges Unterfangen, vor zwanzig Jahren war es beinahe aussichtslos, dafür ein geneigtes Ohr zu finden. Für viele Kirchenleute stand damals fest, dass die überlieferte, über 1500-jährige Liturgie der Kirche ein dekoratives Brimborium für Nostalgiker und Ästheten sei, das für das geistliche Leben des mündigen Christen eine ähnliche Bedeutung habe wie das Streichquartett im Staatsakt für die Politik. Vergessen war, was durch die gesamte Geschichte der lateinischen Kirche gegolten hatte: dass die Liturgie der sichtbare Leib der Kirche ist – dass Kirche und Liturgie identisch sind. Sie ist die mystische Darstellung der gesamten Fülle der offenbarten Wahrheiten. Sie ist der Ort des Glaubens, an dem aus subjektiver Überzeugung und Empfindung objektive Anschauung und Begegnung werden. Es ist diese Liturgie, die den Christenglauben durch die Jahrtausende getragen hat; ihrer Sakralität mit Kultsprache und Choral waren die Missionserfolge in der ganzen Welt zu verdanken.
Über die tiefen Kulturbrüche der europäischen Geschichte war diese Liturgie hinübergegangen, weil sie gleichsam von jeder Zeitepoche, in die sie eintrat, gleich weit entfernt war – immer unzeitgemäß und damit immer ein Bild für die andere Wirklichkeit, die den Menschen erwartet."
Aus Spiegel vom 9.2.2009, S. 134
Über die tiefen Kulturbrüche der europäischen Geschichte war diese Liturgie hinübergegangen, weil sie gleichsam von jeder Zeitepoche, in die sie eintrat, gleich weit entfernt war – immer unzeitgemäß und damit immer ein Bild für die andere Wirklichkeit, die den Menschen erwartet."
Aus Spiegel vom 9.2.2009, S. 134
ElsaLaska - 13. Feb, 22:53
Gerade bei der Frage der Liturgie ging mir wieder einmal durch den Kopf, wie viele Probleme sich doch der katholischen Kirche stellen durch ihren Zentralismus und das Papstamt. Die jüdische Liturgie ist ja keineswegs jünger, und gebetet wurde immer in hebräischer Sprache. Ausgenommen davon lediglich in einigen Gemeinden das Gebet für das Vaterland (und den Landesherren), das in Landessprache gesagt wurde.
Die Bestrebungen einiger Zweige des Judentums (namentlich der Reform) nach der Haskala, eine landesprachliche Liturgie zu etablieren, habe die Orthodoxie nicht tangiert. Das Fehlen einer zentralistischen Instanz eröffnete die Möglichkeit, das eine wie das andere zu pflegen. Und mit welchem Ergebnis? Selbst die Reform ist auf breiter Front zum Hebräischen zurückgekehrt.
Ich fand Mosebachs Erwähnung, dass gerade das »Unzeitgemäße« an Liturgie - man könnte es auch »das Ewige« nennen - sie so tauglich macht für das gebet, die Kommunikation mit dem »Ewigen«, das (oder der) sich um »Zeitgemäßheit« nicht kümmert und nicht kümmern braucht.
Ihren verlinkten Beitrag habe ich eben erst
Mosebach ist einer, dem die Liturgie am Herzen liegt. Er setzt sich sehr für die Alte Messe ein und er zählt zu ihren begabtesten und intelligentesten Verteidigern.
Ich glaube aber nicht, dass gerade das Problem um liturgische Fragen dem Zentralismus geschuldet wird, im Gegenteil. Denn Rom und das Zweite Vatikanische Konzil haben sich zu liturgischen Fragen sehr eindeutig geäußert. Es scheint mir schon eher ein Problem der Umsetzung vor Ort zu sein, konkreter, des Willens zur Umsetzung. Wären Rom und der Papst n i c h t, würde man in Deutschland vermutlich irgendwann bei einer Form von protestantischen Wortgottesdienst mit Gesangseinlagen landen, aber nicht zu Latein oder der Alten Form zurückkehren. Diese Einschätzung halte ich für zwar nicht gesichert, aber hinreichend wahrscheinlich *gg
Was die Ewigkeit der Liturgie angeht, so stimme ich Ihnen absolut zu. In den christlich orthodoxen Kirchen geht man sogar noch weiter, wenn man von der G'ttlichen Liturgie spricht. Unsere katholische Liturgie wurzelt ja in Teilen auch tief in der viel älteren jüdischen Liturgie, ein Umstand, der vielen womöglich gar nicht mehr bewusst ist.