Unheilige Wasser [3]
Gegen vier Uhr am selben Nachmittag fuhren Kopecnik und Imogen den Berg hoch Richtung EMBL, am Bierhelderhof vorbei und zu einer Adresse im Stadtteil Boxberg, wo, wie Kopecnik herausgefunden hatte, der Eigentümer des Internetauftritts Sapere Aude wohnte, ein politisch-philosophisches Diskussionsforum – selbstverständlich offiziell ideologiefrei –, und der, ebenfalls unter dem Namen Sapere Aude, eine Stiftung zur Pflege humanistisch atheistischen Gedankenguts mit offiziellem Sitz in Frankfurt betrieb.
Sapere Aude, wie er sich auch als Teilnehmer auf seinem eigenen Board nannte, hieß in Wirklichkeit Dominik Siegler und wohnte in einem soliden, aber unschön hingebauten Einfamilienhaus mit Jägerzaun am Waldrand. Er sah blendend aus, war etwa um die Dreißig und schaute hochmütig auf den kleineren Kopecnik herunter.
Imogen klärte über die Gründe ihres Kommens auf, ihr Kollege vertiefte sich in die Betrachtung einer violett beleuchteten Plexiglaswassersäule, die dekorativ Bläschen aufsteigen ließ. Siegler zeigte sich natürlich bestürzt über die Todesnachricht, schenkte drei Gläser Ginkgo-Lychee Wellnesslimonade ein und ließ sich in einen modisch kubenförmigen Ledersessel plumpsen. Kopecnik blieb vor dem Aquarium neben Sieglers Sessel stehen, um besser auf ihn herabsehen zu können. Imogen erkundigte sich nach seinem Verhältnis zu Antonio.
»Persönlich kannte ich ihn kaum«, meinte Siegler und lehnte sich bequem in seinem Sessel zurück. »Über das
Forum halt, da war er sehr aktiv. Er diskutierte immer sachlich, differenziert und wurde nie persönlich, selbst
wenn man seinen Glauben angriff. Er war ja katholisch, aber nicht so penetrant, wie manche meinen, das vortragen zu müssen … Bitte klopfen Sie nicht gegen die Scheibe, Herr Kommissar, Sie machen die Guppys nervös!« Kopecnik fuhr zusammen und widmete sich der Inspektion von Sieglers Bücherregal.
»Außerdem haben seine Schilderungen der Zustände in seinem Heimatdorf – fehlendes sauberes Wasser, Kinder, die blind wurden wegen Parasitenerkrankungen, Greise, die an Cholera starben –, all das hat einiges bewegt. Wir haben eine netzweite Kampagne gestartet, um schnell und unbürokratisch helfen zu können – und weil wir davon überzeugt sind, dass man auch ohne an Gott zu glauben ein guter Mensch sein kann.«
Imogen verzog keine Miene, während ihr Kollege jeden der acht Bände von Deschners Kriminalgeschichte des Christentums aus dem Regal zog und wieder zurückstellte.
»Antonio wollte heimfliegen. Und vorher bei Ihnen die Spendengelder abholen, Herr Siegler. Wir haben aber kein Geld bei ihm gefunden«, meinte Kopecnik auf Höhe von Band 6.
»Ja, ich hab’s jedenfalls nicht mehr!«, beteuerte Siegler und hob abwehrend die Hände. »Moment mal«, er sprang auf und ging hinüber an eine große Korkpinnwand. »Ich hab mir von Antonio die Übergabe quittieren lassen. Hatte keinen Formularblock zur Hand, aber Beleg ist Beleg. Ich könnte Ihnen eine Kopie davon ziehen!«
»Das wäre prima, Herr Siegler. Aber machen wir’s lieber umgekehrt, die Kopie für Sie und wir geben das Original so schnell wie möglich zurück. Und wir müssten dann noch wissen, wo Sie am letzten Samstagabend gewesen sind, damit wir unsere Unterlagen vervollständigen können.«
Siegler stand Imogen mit hängenden Armen gegenüber.
Es hatte eines Proteinnachweises zur Bestimmung der Todeszeit bedurft, aber Kopecnik war nicht in Stimmung, um das diesem Amateur zu erklären.
»Sicher, der Vollständigkeit halber. Ich war hier, wir hatten am Samstagabend eine kleine private Feier, Männerabend, Sie wissen schon, haben Fußball geschaut und ein bisschen Bier getrunken, so was.«
Imogen erwiderte sein Lächeln nicht, sondern zückte ihren Notizblock. »Dann bräuchte ich nur noch die Namen und Adressen Ihrer Freunde, Herr Siegler, rein pro forma.«
Kurz darauf genehmigten sich die Kommissare je eine Bratwurst und ein Hefeweizen im Biergarten des Bierhelderhofs. Kopecnik hatte endgültig genug von Wasser und überredete seine Kollegin erfolgreich, sich anzuschließen. Außerdem hatte er es nicht eilig, in die Römerstraße zurückzukommen, wo bloß elende Herumtelefoniererei mit den drei Siegler-Freunden auf ihn wartete. Als sein Appetit auf Bier und Wurst gestillt war, schaute er wieder optimistischer auf den Fall. Was auch daran lag, dass die Kollegin einen bezaubernden Anblick geboten hatte, wie sie, mit Bierschaum auf der Oberlippe, ihm die Pommes vom Teller futterte.
»Die Quittung ist wertlos«, begann sie unvermittelt, »damit können wir gar nichts anfangen. Was meinst du?« Kopecnik nickte und nahm noch einen kräftigen Schluck aus seinem Bierglas, bevor er den unansehnlichen Fetzen gegen das Licht hielt. »Entweder die Unterschrift ist gefälscht, oder er hat ihn unterschreiben lassen, ihm das Geld wieder abgenommen und dann umgebracht. Wenn er’s war …«
»Seine Kumpels können wir auch vergessen. Die sagen alle aus, dass er den ganzen Abend zuhause war, selbst wenn er zwischendurch wegging und erst imMorgengrauen wieder kam«, ergänzte Imogen düster.
»Alles in allem nur ein Haufen Arbeit ohne Ergebnis."
Es sei denn …« Sie pickte sich noch eine kalte Pommes von Kopecniks Teller. »… es sei denn, wir hätten einen Zeugen«, ergänzte er, das Blatt hin und her wendend. »Aber wart mal, hast du das hier unten schon gesehen? Auf der Rückseite? Myriam-Verlag Burgstetten 1987?«
Imogen wischte sich Fett und Salz am Hosenbein von den Fingern. »Das ist ein Verlag von Gebetsbroschüren, wie sie immer in Kirchen ausliegen. Sieht aus wie ein Vorsatzblatt … das haben wir gleich!«,rief sie aufgeregt, zückte ihr Handy und wählte via Kurzwahl, wie Kopecnik sehr wohl bemerkte, die Nummer von Jungklaus. Sie schilderte ihm knapp das Problem und wartete dann auf seinen Rückruf.
Kopecnik überbrückte die Zeit mit einem zweiten Hefeweizen. Jungklaus erstattete kurz Bericht und Imogen bedankte sich überschwänglich. Dann blickte sie Kopecnik triumphierend an. »Das war klasse,Kollege. Die Broschüre, aus der das Vorsatzblatt stammt, lag noch aus. Jungklaus hat sie eingetütet. Kein Zeuge in dem Sinn, aber besser als gar nichts. Andiamo!«
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Sapere Aude, wie er sich auch als Teilnehmer auf seinem eigenen Board nannte, hieß in Wirklichkeit Dominik Siegler und wohnte in einem soliden, aber unschön hingebauten Einfamilienhaus mit Jägerzaun am Waldrand. Er sah blendend aus, war etwa um die Dreißig und schaute hochmütig auf den kleineren Kopecnik herunter.
Imogen klärte über die Gründe ihres Kommens auf, ihr Kollege vertiefte sich in die Betrachtung einer violett beleuchteten Plexiglaswassersäule, die dekorativ Bläschen aufsteigen ließ. Siegler zeigte sich natürlich bestürzt über die Todesnachricht, schenkte drei Gläser Ginkgo-Lychee Wellnesslimonade ein und ließ sich in einen modisch kubenförmigen Ledersessel plumpsen. Kopecnik blieb vor dem Aquarium neben Sieglers Sessel stehen, um besser auf ihn herabsehen zu können. Imogen erkundigte sich nach seinem Verhältnis zu Antonio.
»Persönlich kannte ich ihn kaum«, meinte Siegler und lehnte sich bequem in seinem Sessel zurück. »Über das
Forum halt, da war er sehr aktiv. Er diskutierte immer sachlich, differenziert und wurde nie persönlich, selbst
wenn man seinen Glauben angriff. Er war ja katholisch, aber nicht so penetrant, wie manche meinen, das vortragen zu müssen … Bitte klopfen Sie nicht gegen die Scheibe, Herr Kommissar, Sie machen die Guppys nervös!« Kopecnik fuhr zusammen und widmete sich der Inspektion von Sieglers Bücherregal.
»Außerdem haben seine Schilderungen der Zustände in seinem Heimatdorf – fehlendes sauberes Wasser, Kinder, die blind wurden wegen Parasitenerkrankungen, Greise, die an Cholera starben –, all das hat einiges bewegt. Wir haben eine netzweite Kampagne gestartet, um schnell und unbürokratisch helfen zu können – und weil wir davon überzeugt sind, dass man auch ohne an Gott zu glauben ein guter Mensch sein kann.«
Imogen verzog keine Miene, während ihr Kollege jeden der acht Bände von Deschners Kriminalgeschichte des Christentums aus dem Regal zog und wieder zurückstellte.
»Antonio wollte heimfliegen. Und vorher bei Ihnen die Spendengelder abholen, Herr Siegler. Wir haben aber kein Geld bei ihm gefunden«, meinte Kopecnik auf Höhe von Band 6.
»Ja, ich hab’s jedenfalls nicht mehr!«, beteuerte Siegler und hob abwehrend die Hände. »Moment mal«, er sprang auf und ging hinüber an eine große Korkpinnwand. »Ich hab mir von Antonio die Übergabe quittieren lassen. Hatte keinen Formularblock zur Hand, aber Beleg ist Beleg. Ich könnte Ihnen eine Kopie davon ziehen!«
»Das wäre prima, Herr Siegler. Aber machen wir’s lieber umgekehrt, die Kopie für Sie und wir geben das Original so schnell wie möglich zurück. Und wir müssten dann noch wissen, wo Sie am letzten Samstagabend gewesen sind, damit wir unsere Unterlagen vervollständigen können.«
Siegler stand Imogen mit hängenden Armen gegenüber.
Es hatte eines Proteinnachweises zur Bestimmung der Todeszeit bedurft, aber Kopecnik war nicht in Stimmung, um das diesem Amateur zu erklären.
»Sicher, der Vollständigkeit halber. Ich war hier, wir hatten am Samstagabend eine kleine private Feier, Männerabend, Sie wissen schon, haben Fußball geschaut und ein bisschen Bier getrunken, so was.«
Imogen erwiderte sein Lächeln nicht, sondern zückte ihren Notizblock. »Dann bräuchte ich nur noch die Namen und Adressen Ihrer Freunde, Herr Siegler, rein pro forma.«
Kurz darauf genehmigten sich die Kommissare je eine Bratwurst und ein Hefeweizen im Biergarten des Bierhelderhofs. Kopecnik hatte endgültig genug von Wasser und überredete seine Kollegin erfolgreich, sich anzuschließen. Außerdem hatte er es nicht eilig, in die Römerstraße zurückzukommen, wo bloß elende Herumtelefoniererei mit den drei Siegler-Freunden auf ihn wartete. Als sein Appetit auf Bier und Wurst gestillt war, schaute er wieder optimistischer auf den Fall. Was auch daran lag, dass die Kollegin einen bezaubernden Anblick geboten hatte, wie sie, mit Bierschaum auf der Oberlippe, ihm die Pommes vom Teller futterte.
»Die Quittung ist wertlos«, begann sie unvermittelt, »damit können wir gar nichts anfangen. Was meinst du?« Kopecnik nickte und nahm noch einen kräftigen Schluck aus seinem Bierglas, bevor er den unansehnlichen Fetzen gegen das Licht hielt. »Entweder die Unterschrift ist gefälscht, oder er hat ihn unterschreiben lassen, ihm das Geld wieder abgenommen und dann umgebracht. Wenn er’s war …«
»Seine Kumpels können wir auch vergessen. Die sagen alle aus, dass er den ganzen Abend zuhause war, selbst wenn er zwischendurch wegging und erst imMorgengrauen wieder kam«, ergänzte Imogen düster.
»Alles in allem nur ein Haufen Arbeit ohne Ergebnis."
Es sei denn …« Sie pickte sich noch eine kalte Pommes von Kopecniks Teller. »… es sei denn, wir hätten einen Zeugen«, ergänzte er, das Blatt hin und her wendend. »Aber wart mal, hast du das hier unten schon gesehen? Auf der Rückseite? Myriam-Verlag Burgstetten 1987?«
Imogen wischte sich Fett und Salz am Hosenbein von den Fingern. »Das ist ein Verlag von Gebetsbroschüren, wie sie immer in Kirchen ausliegen. Sieht aus wie ein Vorsatzblatt … das haben wir gleich!«,rief sie aufgeregt, zückte ihr Handy und wählte via Kurzwahl, wie Kopecnik sehr wohl bemerkte, die Nummer von Jungklaus. Sie schilderte ihm knapp das Problem und wartete dann auf seinen Rückruf.
Kopecnik überbrückte die Zeit mit einem zweiten Hefeweizen. Jungklaus erstattete kurz Bericht und Imogen bedankte sich überschwänglich. Dann blickte sie Kopecnik triumphierend an. »Das war klasse,Kollege. Die Broschüre, aus der das Vorsatzblatt stammt, lag noch aus. Jungklaus hat sie eingetütet. Kein Zeuge in dem Sinn, aber besser als gar nichts. Andiamo!«
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ElsaLaska - 21. Aug, 18:48
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