Mina
Der Assistenzarzt krachte mitsamt der schweren Eichentüre in sein Arbeitszimmer.
"Professor Vanderberg, bitte kommen Sie schnell, Nummer 47 ist wieder soweit!"
Vanderberg schrak aus seinem dumpfen Brüten empor und wies den übereifrigen Burschen scharf zurecht.
"Sie heißt Mina, Dr. Hartung!"
"Gut, also - Mina, Professor, die macht uns die ganze Abteilung verrückt!"
Vanderberg warf sich eine dunkle Strähne aus der Stirn und stürmte mit langen Schritten aus seinem holzgetäfelten Sprechzimmer. Minas tierhafte Schreie hallten über die endlosen Flure, die die Abteilungen der Anstalt miteinander verbanden.
Mina. Sie hatten sie vor ein paar Monaten im düsteren Hinterland unterhalb des verfallenen Schlosses gefunden. Mit zerkratzten Brüsten und verfilzten Haaren, die nach Moschus und etwas Unnennbarem rochen. Ihre wilden Augen hatten die Farbe von Absinth und selbst Vanderberg hatte Mühe, Minas giftigem Blick stand zu halten. Sie heulte wie ein Tier, biss einem der Pfleger das halbe Ohr ab und vegetierte die meiste Zeit an ihre Bettstatt gefesselt vor sich hin. Vanderberg pflegte durch die Klappe zu ihr hinein zu schauen und schrak jedes Mal zusammen, wenn er dabei angesprochen wurde.
Der schlaksige junge Professor aus gutem Hause hatte sich bereits früh für die Erkrankungen der menschlichen Psyche interessiert. Sein Studium in Oxford krönte er mit einer Dissertation cum laude über religiöse Wahnvorstellungen und seine Antrittsvorlesung behandelte die sexuelle Ekstase in den Visionen der Teresa von Avila.
Vanderberg war ein aufgeschlossener, ein liberaler Mann der Wissenschaft, für den es keine Tabuthemen gab. Mit klinischer Kälte war er imstande, die Gefühle, Leidenschaften, Obsessionen und Entartungen der Seele seiner Patienten zu sezieren; Vanderberg wertete nicht, er diagnostizierte.
Nur wenn er traumverloren zu Mina hinein blickte, schien er sich vollständig zu vergessen. Er saugte Minas Anblick in sich auf, trug ihn tags mit sich herum und nachts träumte er von der jungen Frau, die so bezaubernd schön und so verlockend hilflos festgeschnallt auf ihrem Eisenbett lag.
In gewissen Nächten hörte man seltsame Laute aus ihrer Zelle, ein Rascheln wie von großen Flügeln, ein kriechendes Schleichen, als ob ein monströser, schuppiger Körper über die kalten Steinfliesen gleiten würde. Das waren die Nächte, in denen Minas Schreie kehliger wurden und einem urtümlichen und unsagbaren Rhythmus zu folgen begannen. Es waren die Nächte, in denen Vanderberg schlaflos blieb und, den Kopf in die Hände gestützt, erwog, den Priester aus dem Dorf holen zu lassen.
Niemand konnte sich erklären, wie die blutunterlaufenen Male auf Minas weißen Körper kamen. Nichts schien dem mysteriösen Prozess Einhalt gebieten zu können, der ihren Körper entstellte und ihren Geist zermarterte. Wenn er wenigstens die Ursache ihres Leidens hätte finden können - er hätte seine unsterbliche Seele dafür gegeben.
Hartungs Gummisohlen quietschten laut auf dem Linoleumboden, während er versuchte, mit Vanderberg Schritt zu halten. Minas Schreie verstummten unvermittelt. Vanderberg überfiel eine schlimme Ahnung und er begann zu rennen.
Hastig schlossen die beiden Männer die Tür zu Minas Zelle auf. Vanderberg hörte noch ein grässliches Schlurfen und es schien ihm, als krabble ein formloser Schatten mit widernatürlichen Bewegungen durch die Zellenmauer davon. Dann herrschte entsetzliche und vollkommene Stille.
Vor ihnen lag der grotesk verdrehte Körper Minas.
Und zwischen ihren Beinen, in einer blutigen, stinkenden Lache, krümmte sich stumm das Unerträgliche - ein halb ausgebildetes Zwischenwesen, das ihn für den Rest seines Lebens in seinen Träumen verfolgen sollte.
"Professor Vanderberg, bitte kommen Sie schnell, Nummer 47 ist wieder soweit!"
Vanderberg schrak aus seinem dumpfen Brüten empor und wies den übereifrigen Burschen scharf zurecht.
"Sie heißt Mina, Dr. Hartung!"
"Gut, also - Mina, Professor, die macht uns die ganze Abteilung verrückt!"
Vanderberg warf sich eine dunkle Strähne aus der Stirn und stürmte mit langen Schritten aus seinem holzgetäfelten Sprechzimmer. Minas tierhafte Schreie hallten über die endlosen Flure, die die Abteilungen der Anstalt miteinander verbanden.
Mina. Sie hatten sie vor ein paar Monaten im düsteren Hinterland unterhalb des verfallenen Schlosses gefunden. Mit zerkratzten Brüsten und verfilzten Haaren, die nach Moschus und etwas Unnennbarem rochen. Ihre wilden Augen hatten die Farbe von Absinth und selbst Vanderberg hatte Mühe, Minas giftigem Blick stand zu halten. Sie heulte wie ein Tier, biss einem der Pfleger das halbe Ohr ab und vegetierte die meiste Zeit an ihre Bettstatt gefesselt vor sich hin. Vanderberg pflegte durch die Klappe zu ihr hinein zu schauen und schrak jedes Mal zusammen, wenn er dabei angesprochen wurde.
Der schlaksige junge Professor aus gutem Hause hatte sich bereits früh für die Erkrankungen der menschlichen Psyche interessiert. Sein Studium in Oxford krönte er mit einer Dissertation cum laude über religiöse Wahnvorstellungen und seine Antrittsvorlesung behandelte die sexuelle Ekstase in den Visionen der Teresa von Avila.
Vanderberg war ein aufgeschlossener, ein liberaler Mann der Wissenschaft, für den es keine Tabuthemen gab. Mit klinischer Kälte war er imstande, die Gefühle, Leidenschaften, Obsessionen und Entartungen der Seele seiner Patienten zu sezieren; Vanderberg wertete nicht, er diagnostizierte.
Nur wenn er traumverloren zu Mina hinein blickte, schien er sich vollständig zu vergessen. Er saugte Minas Anblick in sich auf, trug ihn tags mit sich herum und nachts träumte er von der jungen Frau, die so bezaubernd schön und so verlockend hilflos festgeschnallt auf ihrem Eisenbett lag.
In gewissen Nächten hörte man seltsame Laute aus ihrer Zelle, ein Rascheln wie von großen Flügeln, ein kriechendes Schleichen, als ob ein monströser, schuppiger Körper über die kalten Steinfliesen gleiten würde. Das waren die Nächte, in denen Minas Schreie kehliger wurden und einem urtümlichen und unsagbaren Rhythmus zu folgen begannen. Es waren die Nächte, in denen Vanderberg schlaflos blieb und, den Kopf in die Hände gestützt, erwog, den Priester aus dem Dorf holen zu lassen.
Niemand konnte sich erklären, wie die blutunterlaufenen Male auf Minas weißen Körper kamen. Nichts schien dem mysteriösen Prozess Einhalt gebieten zu können, der ihren Körper entstellte und ihren Geist zermarterte. Wenn er wenigstens die Ursache ihres Leidens hätte finden können - er hätte seine unsterbliche Seele dafür gegeben.
Hartungs Gummisohlen quietschten laut auf dem Linoleumboden, während er versuchte, mit Vanderberg Schritt zu halten. Minas Schreie verstummten unvermittelt. Vanderberg überfiel eine schlimme Ahnung und er begann zu rennen.
Hastig schlossen die beiden Männer die Tür zu Minas Zelle auf. Vanderberg hörte noch ein grässliches Schlurfen und es schien ihm, als krabble ein formloser Schatten mit widernatürlichen Bewegungen durch die Zellenmauer davon. Dann herrschte entsetzliche und vollkommene Stille.
Vor ihnen lag der grotesk verdrehte Körper Minas.
Und zwischen ihren Beinen, in einer blutigen, stinkenden Lache, krümmte sich stumm das Unerträgliche - ein halb ausgebildetes Zwischenwesen, das ihn für den Rest seines Lebens in seinen Träumen verfolgen sollte.
ElsaLaska - 17. Dez, 21:51
















