Auf breiten Wunsch nochmals - Unheilige Wasser [I]
[zuerst erschienen in "Tödliche Wasser", der Anthologie zu den Heidelberger Krimitagen 2009]
Imogen Findeißen und Ladislav Kopecnik saßen vor einladend ausgebreiteten Schüsselchen mit Petersiliensalat, geschmortem Löwenzahn und einer gigantischen Grillplatte, die nach Nelken und Zimt duftete. Zwei Tische weiter sogen amerikanische Austauschschüler selig an der Wasserpfeife, die man ihnen serviert hatte. Aus den Lautsprechern flirrte der sphärische Gesang von Oum Khalsoum.
Kopecnik langte gerade nach den Lammwürstchen, als das Handy von Imogen, ein uralter schwarzer Nokia-Knochen, losschrillte. »Verstehe, wir sind sofort bei Ihnen, Vater. Wir sitzen beim Libanesen am Theaterplatz, ganz in der Nähe. Bis gleich!«
Keine fünf Sekunden später eilten die beiden Kommissare durch das Gedränge auf der Heidelberger Hauptstraße Richtung Universitätsplatz.
Kopecnik war weder gläubig noch getauft. Er fand, dass Imogen ein ziemlich heidnisch klingender Name war. Trotzdem hatte sie beim Betreten der Jesuitenkirche routiniert Weihwasser genommen und sich bekreuzigt. Außerdem sprach sie den Pfarrer – Pater? Priester? –, der sie am Portal in Empfang genommen hatte, mit »Vater« an. Kopecnik fand das witzig: Der Mann hätte fast ihr Sohn sein können. Er lachte aber nicht. Erstens war er sich sicher, dass das in einer Kirche nicht gern gesehen wurde und zweitens insbesondere nicht, wenn es sich dabei um einen Tatort handelte.
Mit elastischen Schritten führte der blonde Bilderbuchgeistliche in der kleidsamen Soutane die beiden Kripoleute durch das Hauptschiff. Kopecnik erwartete eine in der Kirchenbank zusammengesunkene Rentnerin oder einen Obdachlosen. Alle Bänke waren jedoch leer. Pfarrer Jungklaus blieb schweigend in der Nähe eines Seitenaltars vor einem riesigen antiken Weihwasserfass stehen. Er schien die Ratlosigkeit der Beamten zu bemerken und deutete auf den Deckel des Messingfasses, der auf dem Boden lag.
»Es kam fast nichts mehr heraus, und das, was herauslief, war eine ziemlich eklige Brühe, muss ich leider sagen. Also sind wir hoch …« Er trat zurück und machte eine resignierte Handbewegung.
Imogen schluckte trocken und stieg entschlossen die dreistufige Haushaltsleiter hinauf, um einen Blick in den gigantischen Behälter werfen zu können. Kopecnik zählte nicht zu der Sorte, die innerlich schadenfroh feixen, wenn es einer Kollegin schlecht wird. Aber interessant war der Farbwechsel schon, den ihr Gesicht annahm, und – eine Geste zum Verlieben –, dann bekreuzigte sich Imogen, als wäre sie eine fromme Spanierin – und nicht der eher hochgewachsennüchterne Frauentyp Marke Zum-Pferde-Stehlen. Kopecnik, die Reihe war jetzt an ihm, trat so entschlossen auf die erste Stufe, als müsste er einen Spaten in die Erde stechen. Er war kleiner als seine Kollegin und mühte sich, über den Rand des Fasses zu spähen. Es ist das Eine, zu vermuten, dass an einem ungewöhnlichen Ort eine Leiche versteckt ist. Etwas Anderes ist es, wenn der Tote in einem halbvollen Weihwasserfass sitzt und dich – Gesicht nach oben gedreht – aus riesigen weißen Augäpfeln anglotzt.
Kopecnik hätte gerne geflucht, ahnte jedoch, dass das mindestens bei Jungklaus, wahrscheinlich auch bei Imogen, nicht gut ankäme. Stattdessen zückte er die Digicam und machte ein paar halbherzige Fotos. Als die Trittleiter sacht ins Schwanken geriet, entfuhr ihm aber doch noch ein böhmisches »Sakra!« Glücklicherweise befragte Imogen gerade den Pfarrer über die Entdeckung der Leiche und schaute nicht einmal von ihrem Notizblock auf. Die Glocke der Jesuitenkirche schlug dröhnend Viertel eins. Kopecnik hielt es für keine gute Idee, Henk von der Spurensicherung in der Mittagspause zu stören, andererseits konnten ja dann die Kollegen zusehen, wie sie die Leiche aus dem Weihwasserbehälter brächten. Deshalb rief er ohne weitere Skrupel an.
Wie zu erwarten hatte Henk die Störung seiner Mittagspause persönlich genommen. Die Bergung der Leiche hatte sich außerdem nicht gerade einfach gestaltet und endete in einer ziemlichen Sauerei. Kopecnik war froh, dass das Opfer, ein Jurastudent aus Madagaskar mit Namen Antonio Faneva, keine Angehörigen in Heidelberg hatte, die ihn noch einmal zu sehen wünschten – für ihn die erfreulichste Nachricht des Tages. Aber dann natürlich Henk, der zu einer informellen Besprechung mit einem Styroporbehältnis Sushi to go eintraf und sich auf Kopecniks Schreibtischkante pflanzte, um kauend auf Imogens Flip-Chart mit den Notizen zum Fall zu starren.
»Für misch isch die Sach klar«, meinte er schließlich, gebürtiger Kurpfälzer, »des war ähn kattolischer Ritualmord. Die Jesuuide sinn mir schoo immer suschpeckt gewese. Alleweil die jo ach immer ganz dicke mit dem Pabscht, alle Eid schwören die uff den, die gehn doch üwwer Leische …«
Imogen hatte sich genervt umgedreht und den Boardmarker mit einem Knall in die Ablage gepfeffert. »Der Heilige Vater«, setzte sie an, wobei sie die Worte Heilig und Vater extra betonte, verstummte aber, weil sie Kopecniks beschwichtigende Geste hinter Henks Rücken bemerkte. Der Mann von der Spusi grinste breit.
»Der Heilige Vater«, intonierte er, eine Tonlage höher, schraubte sich dann aber wieder runter. »G’hört die Kollegin Findeißen aach zu denne, wo jetzt Pabscht sinn … Fraue sinn da jo eh anfällisch fier. Der Jungklaus sieht aach fesch aus, dess muss ich sache. Awwer! Obacht! Weil: Zö-li-bat, uff Deutsch so viel wie: Finger weg.«
Kopecnik, in religiösen Fragen ungefähr so kompetent wie in der Quantenphysik, googelte bereits nach den Jesuiten und landete auf einer Seite mit Hilfsprojekten für die Dritte Welt: Brunnenbau für Afrika, Wiederaufforstung in Indien – Projekt Watershed –, und fand, das alles mache doch einen sehr guten Eindruck. Auf den ersten Blick jedenfalls.
»Alla! Beschdädigt nur mei These, machen viel mit Wasser, die Jesuuide … Da kanns scho mal bassiere, dass einer in selbigem landet. Außerdem waren die Fingerabdrieck vom Jungklaus uffm Bassin.«
»Aspersorium«, korrigierte Kopecnik, der plötzlich ein Faible für alles römisch-katholische entwickelt zu haben schien, »der Fachausdruck für Weihwasserbehälter lautet Aspersorium.
[weiter zu Teil II]
Imogen Findeißen und Ladislav Kopecnik saßen vor einladend ausgebreiteten Schüsselchen mit Petersiliensalat, geschmortem Löwenzahn und einer gigantischen Grillplatte, die nach Nelken und Zimt duftete. Zwei Tische weiter sogen amerikanische Austauschschüler selig an der Wasserpfeife, die man ihnen serviert hatte. Aus den Lautsprechern flirrte der sphärische Gesang von Oum Khalsoum.
Kopecnik langte gerade nach den Lammwürstchen, als das Handy von Imogen, ein uralter schwarzer Nokia-Knochen, losschrillte. »Verstehe, wir sind sofort bei Ihnen, Vater. Wir sitzen beim Libanesen am Theaterplatz, ganz in der Nähe. Bis gleich!«
Keine fünf Sekunden später eilten die beiden Kommissare durch das Gedränge auf der Heidelberger Hauptstraße Richtung Universitätsplatz.
Kopecnik war weder gläubig noch getauft. Er fand, dass Imogen ein ziemlich heidnisch klingender Name war. Trotzdem hatte sie beim Betreten der Jesuitenkirche routiniert Weihwasser genommen und sich bekreuzigt. Außerdem sprach sie den Pfarrer – Pater? Priester? –, der sie am Portal in Empfang genommen hatte, mit »Vater« an. Kopecnik fand das witzig: Der Mann hätte fast ihr Sohn sein können. Er lachte aber nicht. Erstens war er sich sicher, dass das in einer Kirche nicht gern gesehen wurde und zweitens insbesondere nicht, wenn es sich dabei um einen Tatort handelte.
Mit elastischen Schritten führte der blonde Bilderbuchgeistliche in der kleidsamen Soutane die beiden Kripoleute durch das Hauptschiff. Kopecnik erwartete eine in der Kirchenbank zusammengesunkene Rentnerin oder einen Obdachlosen. Alle Bänke waren jedoch leer. Pfarrer Jungklaus blieb schweigend in der Nähe eines Seitenaltars vor einem riesigen antiken Weihwasserfass stehen. Er schien die Ratlosigkeit der Beamten zu bemerken und deutete auf den Deckel des Messingfasses, der auf dem Boden lag.
»Es kam fast nichts mehr heraus, und das, was herauslief, war eine ziemlich eklige Brühe, muss ich leider sagen. Also sind wir hoch …« Er trat zurück und machte eine resignierte Handbewegung.
Imogen schluckte trocken und stieg entschlossen die dreistufige Haushaltsleiter hinauf, um einen Blick in den gigantischen Behälter werfen zu können. Kopecnik zählte nicht zu der Sorte, die innerlich schadenfroh feixen, wenn es einer Kollegin schlecht wird. Aber interessant war der Farbwechsel schon, den ihr Gesicht annahm, und – eine Geste zum Verlieben –, dann bekreuzigte sich Imogen, als wäre sie eine fromme Spanierin – und nicht der eher hochgewachsennüchterne Frauentyp Marke Zum-Pferde-Stehlen. Kopecnik, die Reihe war jetzt an ihm, trat so entschlossen auf die erste Stufe, als müsste er einen Spaten in die Erde stechen. Er war kleiner als seine Kollegin und mühte sich, über den Rand des Fasses zu spähen. Es ist das Eine, zu vermuten, dass an einem ungewöhnlichen Ort eine Leiche versteckt ist. Etwas Anderes ist es, wenn der Tote in einem halbvollen Weihwasserfass sitzt und dich – Gesicht nach oben gedreht – aus riesigen weißen Augäpfeln anglotzt.
Kopecnik hätte gerne geflucht, ahnte jedoch, dass das mindestens bei Jungklaus, wahrscheinlich auch bei Imogen, nicht gut ankäme. Stattdessen zückte er die Digicam und machte ein paar halbherzige Fotos. Als die Trittleiter sacht ins Schwanken geriet, entfuhr ihm aber doch noch ein böhmisches »Sakra!« Glücklicherweise befragte Imogen gerade den Pfarrer über die Entdeckung der Leiche und schaute nicht einmal von ihrem Notizblock auf. Die Glocke der Jesuitenkirche schlug dröhnend Viertel eins. Kopecnik hielt es für keine gute Idee, Henk von der Spurensicherung in der Mittagspause zu stören, andererseits konnten ja dann die Kollegen zusehen, wie sie die Leiche aus dem Weihwasserbehälter brächten. Deshalb rief er ohne weitere Skrupel an.
Wie zu erwarten hatte Henk die Störung seiner Mittagspause persönlich genommen. Die Bergung der Leiche hatte sich außerdem nicht gerade einfach gestaltet und endete in einer ziemlichen Sauerei. Kopecnik war froh, dass das Opfer, ein Jurastudent aus Madagaskar mit Namen Antonio Faneva, keine Angehörigen in Heidelberg hatte, die ihn noch einmal zu sehen wünschten – für ihn die erfreulichste Nachricht des Tages. Aber dann natürlich Henk, der zu einer informellen Besprechung mit einem Styroporbehältnis Sushi to go eintraf und sich auf Kopecniks Schreibtischkante pflanzte, um kauend auf Imogens Flip-Chart mit den Notizen zum Fall zu starren.
»Für misch isch die Sach klar«, meinte er schließlich, gebürtiger Kurpfälzer, »des war ähn kattolischer Ritualmord. Die Jesuuide sinn mir schoo immer suschpeckt gewese. Alleweil die jo ach immer ganz dicke mit dem Pabscht, alle Eid schwören die uff den, die gehn doch üwwer Leische …«
Imogen hatte sich genervt umgedreht und den Boardmarker mit einem Knall in die Ablage gepfeffert. »Der Heilige Vater«, setzte sie an, wobei sie die Worte Heilig und Vater extra betonte, verstummte aber, weil sie Kopecniks beschwichtigende Geste hinter Henks Rücken bemerkte. Der Mann von der Spusi grinste breit.
»Der Heilige Vater«, intonierte er, eine Tonlage höher, schraubte sich dann aber wieder runter. »G’hört die Kollegin Findeißen aach zu denne, wo jetzt Pabscht sinn … Fraue sinn da jo eh anfällisch fier. Der Jungklaus sieht aach fesch aus, dess muss ich sache. Awwer! Obacht! Weil: Zö-li-bat, uff Deutsch so viel wie: Finger weg.«
Kopecnik, in religiösen Fragen ungefähr so kompetent wie in der Quantenphysik, googelte bereits nach den Jesuiten und landete auf einer Seite mit Hilfsprojekten für die Dritte Welt: Brunnenbau für Afrika, Wiederaufforstung in Indien – Projekt Watershed –, und fand, das alles mache doch einen sehr guten Eindruck. Auf den ersten Blick jedenfalls.
»Alla! Beschdädigt nur mei These, machen viel mit Wasser, die Jesuuide … Da kanns scho mal bassiere, dass einer in selbigem landet. Außerdem waren die Fingerabdrieck vom Jungklaus uffm Bassin.«
»Aspersorium«, korrigierte Kopecnik, der plötzlich ein Faible für alles römisch-katholische entwickelt zu haben schien, »der Fachausdruck für Weihwasserbehälter lautet Aspersorium.
[weiter zu Teil II]
ElsaLaska - 21. Aug, 15:17
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