Westwind
Er schiebt die Wolkenbänke in Richtung Meer zusammen, schlürft sie aus wie ein Dutzend Austern und wirft ihre zerrissenen Fahnen wie leere Schalen in alle vier Himmelsrichtungen.
Vermutlich erst ab dem Mittelalter in regelmäßigem Gebrauch, um die Alpen über die Nord-Süd-Richtung überqueren zu können. 569 n. Chr. bauten die Langobarden eine Kettenbrücke über die Reuss. Ausbau des Weges unter Karl dem Großen für Lasttiere (Esel, Maulesel, Maultiere).
Kapelle um 1100 erbaut und 1160/76 vom Mailänder Erzbischof zu Ehren des Heiligen Godehard von Hildesheim geweiht. > Ältestes Gebäude auf der Passhöhe.
1629 errichtete Borromeo eine Herberge (ospizio), die seit 1683 von Kapuzinern betreut wird.
Heute führt die 27 km lange Passstraße von Göschenen nach Airolo.
Vier Flüße haben hier ihr Quellgebiet: Ticino, Reuß, Rhone und Rhein.
Goethe: "Der Gotthard ist zwar nicht das höchste Gebirge der Schweiz, [...] doch behauptet er den Rang eines königlichen Gebirges über alle anderen, weil die größten Gebirgsketten bei ihm zusammenlaufen und sich an ihn lehnen.“
Schiller, Wilhelm Tell:
" So immer steigend, kommt Ihr auf die Höhen
Des Gotthards, wo die Ewg'en Seen sind
Die von des Himmels Strömen selbst sich füllen
Dort nehmt Ihr Abschied von der deutschen Erde,
Und muntern Laufs führt Euch ein andrer Strom
Ins Land Italien hinab, Euch das gelobte -"
Wilhelm Heinse an Ludwig Gleim: "Bester Freund, hier ist wirklich das Ende der Welt. Der Gotthard ist ein wahres Gebeinhaus der Natur. Statt der Totenknochen liegen ungeheure Reihen von öden Steingebirgen und in den tiefen Täler aufeinander gehäufte Felsentrümmer."
>>Projekt La Claustra
In die Zukunft weisende Bilder und Worte dokumentieren das Hineinreichen des übersinnlichen Bezirks in den irdischen.
Es ist eines der ältesten literarischen Motive der Welt. Schon im Gilgamesch-Epos (um 2000 v. Chr.) erfährt Gilgamesch aus zwei Träumen von seiner künftigen Freundschaft zu Enkidu. Auch Enkidu wird später in Träumen der Tod angekündigt, auch diese Prophezeiung geht in Erfüllung.
Im AT erfolgt die Ermordung König Belsazars unmittelbar, nachdem ihm der Prophet Daniel eine geheimnisvolle Inschrift gedeutet hat:
"Und als sie so tranken, lobten sie die goldenen, silbernen, ehernen, eisernen, hölzernen und steinernen Götter. Im gleichen Augenblick gingen hervor Finger wie von einer Menschenhand, die schrieben gegenüber dem Leuchter auf die getünchte Wand in dem königlichen Saal. Und der König erblickte die Hand, die da schrieb. Da entfärbte sich der König, und seine Gedanken erschreckten ihn, so dass er wie gelähmt war und ihm die Beine zitterten. [...] So aber lautet die Schrift, die dort geschrieben steht: Mene mene tekel u-parsin. Und sie bedeutet dies: Mene, das ist, Gott hat dein Königtum gezählt und beendet. Tekel, das ist, man hat dich auf der Waage gewogen und zu leicht befunden. Peres, das ist, dein Reich ist zerteilt und den Medern und Persern gegeben." Daniel 5, 4-6+25-28
In Homers Odyssee (800 v. Chr.) weist das Erscheinen und Verhalten von Vögeln auf die Zukunft hin, bes. die antike Tragödie benutzt prophetische Zeichen als Vorbereitung auf eintreffendes Unheil:
"... Sieh nur", rief der Abbé plötzlich. Er war vor Schreck zusammengezuckt und vor einem großen, schönen Blumenbeet stehen geblieben. "Sieh dir diese Pflanzen an: Jede hat eine Tafel mit ihrem Namen vor sich."
"Hyazinthe, Veilichen, Rose, Lotos ...", las ich mechanisch, "Na und?"
"Lies weiter: Ambrosia, Nepenthes, Panazee und sogar Moly", sagte er erbleichend. Mein Blick wanderte fragend zwischen diesen Namen und Melanis Gesicht hin und her.
"Sagen dir diese Namen denn nichts?", beharrte er, "Das sind die Pflanzen aus dem mythischen Adonisgarten."
Ich schwieg überrascht.
"Verflixt, es gibt sie gar nicht!", rief Atto mit erstickter Stimme aus. "Ambrosia ist die Speise der olympischen Götter, die Unsterblichkeit verlieh; Nepenthes ist eine sagenumwobene Pflanze aus Ägypten, von der die alten Griechen glaubten, dass sie die Seele tröste und Schmerzen vergessen lasse. Und Panazee ..."
"Signor Atto ..."
"Sei still und hör mir zu!", unterbrach er mich barsch, während Furcht sich auf seinem Gesicht abzuzeichnen begann. "Panazee sagte ich, aber das weißt du vielleicht auch, ist eine unauffindbare Pflanze, nach der die Alchimisten seit Jahrhunderten suchen, sie kann alle Krankheiten heilen und das Alter vertreiben. Moly schließlich ist das magische Kraut, das Odysseus von Hermes erhält, damit er gegen die Gifte der Zauberin Circe gefeit ist. Hast du jetzt begriffen? Diese Pflanzen existieren nicht! Kannst du mir sagen, warum sie hier in schönster Blüte stehen, sogar mit ihrem Namensschild davor?"
Er drehte sich abrupt um und eilte nervös dem Haus zu.
Monaldi & Sorti: Secretum. Claassen, 2005