[Achtung! Insbesondere Mitleser aus dem Vatikan! Dieser Abschnitt enthält explizite Sprache.]
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Zwei Tage später luden sie Dominik Siegler zur Vernehmung ins Revier. Er erschien sichtlich verkatert, unrasiert und in ungebügelten Jeans. Der Lack ist ab, dachte Kopecnik vergnügt und ließ ihn zunächst schmoren, in dem er sich mit dem Hinweis, dass sich Kollegin Findeißen ein wenig verspäten würde, mit einer mitgebrachten Akte beschäftigte und schweigend ab und an auf seine Uhr schaute. Siegler hatte Platz genommen, sprang dann aber auf und lief hin und her, bis Kopecnik ihn höflich bat, sich wieder zu setzen. Anhaltendes Schweigen, unterbrochen von Sieglers nervösem Fingergetrommel.
»Kann ich bitte etwas zu trinken haben?«
»Der Automat ist leider kaputt«, beschied Kopecnik gutgelaunt.
»Wie lange geht das denn jetzt noch! Sie haben doch mit meinen Freunden telefoniert! Was soll ich denn noch hier?« Siegler hieb mit der Hand auf den Tisch.
»Wir warten auf die Kollegin Findeißen. Sie kennen Sie ja bereits«, antwortete Kopecnik verbindlich und vertiefte sich wieder in seine Akte. Endlich waren Schritte zu hören, Hundegebell, und als die Tür von Imogen aufgerissen wurde, konnte man im Gang einen abgerissenen alten Berber entdecken, wie er seinen Schäferhundmischling zur Räson brachte.
»Sorry für die Verspätung, aber ich musste den Garibaldi noch vom Hauser-Platz vor der Jesuitenkirche abholen, da macht er seit zwei Wochen Quartier. Guten Tag, Herr Siegler!« Imogen nickte kurz und beobachtete zufrieden, wie Siegler unruhig auf den Gang hinausspähte. Dann erst schloss sie die Tür. »Es geht um Ihre letzte Begegnung mit Antonio Faneva«, setzte sie an.
»Das haben wir doch schon besprochen!« Siegler verdrehte genervt die Augen in Richtung Decke. »Ich war den ganzen Abend zuhause!«
»Den Abend, an dem Sie Antonio das Geld übergeben haben?«, hakte Imogen nach.
Siegler atmetete verächtlich aus und verschränkte die Arme. »Ich habe drei Zeugen!«
»Und eine Quittung … jaja …«, murmelte Kopecnik beiläufig.
»Eine Quittung«, nahm Imogen das Stichwort auf, »die aus dem Vorsatzblatt der Gebetsbroschüre ›Gnadennovene zum Unbefleckten Herzen Mariä‹ aus dem Myriam-Verlag stammt.«
»Ist das jetzt verboten? Gotteslästerung oder so ’n bullshit?«, brauste ihr Gegenüber auf.
»Die in der Jesuitenkirche ausliegt.« Mit diesen Worten zog Imogen einen durchsichtigen Ziploc- Beutel aus ihrer Jacke und legte sie auf den Tisch. »Und das ist das Exemplar mit dem fehlenden Vorsatzblatt. Die Ausrisskanten passen perfekt zueinander. Wir haben es vorgestern sichergestellt. In der Kirche. Und das bedeutet …«
»… dass Sie sich mit Faneva zur Geldübergabe in der Kirche getroffen haben. Und kurze Zeit später wird er tot dort aufgefunden«, erläuterte Kopecnik zuvorkommend und pflanzte sich breitbeinig hinter Sieglers Stuhl auf, um ihn, falls nötig, vom Randalieren abzuhalten. Was hieß, er würde ihn erst ein bisschen toben lassen. Und ihm dann schön sauber eine mitten in die Fresse hauen.
»Jemand hat ihm Pentobarbital verabreicht und ihn dann ins Aspersorium gesteckt. Was sagen Sie dazu?«, wollte Imogen wissen.
»Ich weiß nicht mal, was ein verficktes Aspergonum überhaupt ist!«, brüllte Siegler sie an.
Prompt rammte Kopecnik sein rechtes Knie hart gegen die Elastoplast-Stuhllehne. Siegler fiel unvermittelt
vornüber und schlug beinahe mit dem Kopf auf die Tischplatte auf.
Imogen flatterte nicht einmal mit den Lidern: »Jemand, der alle acht Bände von Deschners Kriminalgeschichte
des Christentums herumstehen hat, sollte sich schon ein bisschen besser auskennen, meinen Sie nicht?«
Ihr Kollege packte den hasserfüllt schweigenden Siegler an der rechten Schulter und drehte ihn mitsamt seinem Stuhl zu sich herum. »Als stiller Teilhaber von Pietas-Liechtenstein wissen Sie jedenfalls, was Pentobarbital ist – das Mittel der Wahl in der aktiven Sterbehilfe. Und weil Sie zufällig ein bisschen Geld brauchten, dachten Sie, euthanasieren Sie einfach den Antonio. Das Weihwasserfass war das einzig wirklich gute Versteck in Greifweite und außerdem eine schöne Pointe, das muss man Ihnen lassen!«
»Sie können mir gar nichts nachweisen. Sie haben nicht mal einen Zeugen. Und ich will sofort telefonieren!«
Kopecnik gab Imogen das verabredete Zeichen, indem er sein Sakko auszog. Ihr Tonfall wurde eindringlicher:
»Nehmen wir einfach mal an, wir hätten einen Zeugen, Herr Siegler. Nehmen wir an, jemand, der sich vielleicht Tag und Nacht vor der Kirche aufhält, weil er sonst nirgendwohin kann, hat gesehen, wie sie beide hinein gingen, aber nur einer herauskam.«
Und obwohl das überhaupt nicht verabredet war, konnte man hören, wie draußen der Köter von Garibaldi wieder lautstark ausflippte.
Kopecniks Miene blieb völlig ausdruckslos, während Imogen fortfuhr: »Dann würde Ihnen Ihr Anwalt, den Sie gleich anrufen, den vernünftigen Rat geben, alles zuzugeben. So was wird vor Gericht positiv bewertet, das wissen Sie. Sie haben es ja nicht nur des Geldes wegen getan. Faneva, ein Schwarzer, hatte eine glänzende Zukunft als Jurist vor sich, ein Stipendiat mit den allerbesten Noten, und Sie haben nicht mal das erste Staatsexamen gepackt, das hat Sie persönlich gedemütigt. Man wird das berücksichtigen.«
Sie klappte das bereitliegende Notebook auf, öffnete nachdenklich die Textverarbeitung und begann ohne Hast, ein paar Zeilen zu tippen. Dann schaute sie aufmunternd zu Siegler hinüber, der, mit wässrigen Augen, in seinem Plastikstuhl zusammengesackt war und stammelnd zu reden begann.
Kopecnik ging leise vor die Tür, um endlich doch noch Mineralwasser zu besorgen.
Garibaldi war auf der Wartebank eingeschlafen. Er rüttelte ihn sachte wach und wollte ihm 50 Euro in die Hand drücken, aber Garibaldi rückte seinen Strohhut zurecht und wies das Geld zurück: Er habe eh grad Zeit gehabt und nicht mal lügen müssen, schon okay.
Kopecnik nahm sich vor, einen großen Schinkenknochen für den Hund zu kaufen und die beiden auf der Neckarwiese zu besuchen.
Ende.
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Unheilige Wasser [3]
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Unheilige Wasser [1]
Zuerst erschienen in Burger/Imbsweiler/Schöbel (Hrsg.): Tödliche Wasser. Anthologie zu den Heidelberger Krimitagen 2009. Gmeiner Verlag.