Literarisches Blog
"Genau. Vor drei Jahren gab es unter dem Aedilen Marcus Aemilius Scaurus eine Säuberung Roms von fremdländischen Kulten. Dein Name stand auf der Liste derjenigen, die aus der Stadt vertrieben wurden, trotzdem treffe ich dich noch immer hier an. Wie kommt das?"
Er machte eine wahrhaft komplexe Geste mit Schultern, Hals und Kopf, die das Unbekannte und Unvermeidliche alles Seienden ebenso andeutete wie die immanente Veränderbarkeit und den willkürlichen Wandel aller Dinge, die, obwohl sie sich veränderten, doch immer die gleichen blieben. Ich kenne kein Volk mit so ausdrucksstarker Gestik wie die Syrer.
aus Der Fluch des Volkstribuns von J. M. Roberts
ElsaLaska - 6. Jan, 23:18
Donnerstag, 22. Dezember 2005
wir haben genug
wir haben genug
vom tatenlosen dürsten
den schleiern alter tage
genug und mehr
von trägem wein in purpurfässern
und kaltem rauch in blinden herzen
wir haben reichlich
und mehr als arme fassen
hände halten schultern tragen
mehr als genug
uns nie aneinander zu wagen
ElsaLaska - 22. Dez, 01:56
Montag, 19. Dezember 2005
Für dich
sammle ich den Südwind
in warmfarbenen Amphoren
weht mir die Sammetnacht
in siebenschönen Sternsystemen
vergess ich alte Leben
in bleigefassten Trinkpokalen
tret ich hinüber tret ich hinaus
über die Grenzen meiner Welt
ElsaLaska - 19. Dez, 22:15
der rand der welt nicht steil genug
kein abgrund kann mich halten
zyklopenmauern fug an fug
und alle widrigkeiten walten
geh hin und weck die bären auf
die wölfe, luchse, tiger
dann hetz ich mit in ihrem lauf
und blieb ich dort noch sieger
so zünd noch die vulkane an
spreng brücken, pfade, wege
kein mensch kein gott kein übermann
vermag so viel wie du es kannst
mit stiller sanfter rede
ElsaLaska - 19. Dez, 21:33
Sonntag, 18. Dezember 2005
ich will dir den duft der frangipani schenken
den indischen ozean
und einen safranfarbenen sarong
damit du die tempel betreten darfst
in denen unsere träume leben
vergiss nicht vorher
die glocke zu läuten damit
der gott aufwacht und
zieh deine sandalen an
und schau wie die tigermänner
das meer vertreiben
mit knappen gesten
es gibt einen berggipfel
der hat das gesicht eines herrschers
und die glühwürmchen nennen sie clipclips
die falter sind handtellergross und stahlblau
die flattern dort
wie dein blick auf meinen brüsten
ich habe einst
neben dem sultan von brunei residiert
meine küsse schmecken
nach kokosfleisch und limonensaft
ElsaLaska - 18. Dez, 01:40
soukh (so ist es nie bei vollmond)
gekleidet in den blütenstaub
deiner himmelblauen gedanken
wacht die principessa
mit rosenaugen
bemalt
nachtfalter taghell
mit safranworten
die schickt sie dir
damit du sie hütest
und zähmst
du mit den perlenhänden
ElsaLaska - 18. Dez, 01:23
Samstag, 17. Dezember 2005
Der Assistenzarzt krachte mitsamt der schweren Eichentüre in sein Arbeitszimmer.
"Professor Vanderberg, bitte kommen Sie schnell, Nummer 47 ist wieder soweit!"
Vanderberg schrak aus seinem dumpfen Brüten empor und wies den übereifrigen Burschen scharf zurecht.
"Sie heißt Mina, Dr. Hartung!"
"Gut, also - Mina, Professor, die macht uns die ganze Abteilung verrückt!"
Vanderberg warf sich eine dunkle Strähne aus der Stirn und stürmte mit langen Schritten aus seinem holzgetäfelten Sprechzimmer. Minas tierhafte Schreie hallten über die endlosen Flure, die die Abteilungen der Anstalt miteinander verbanden.
Mina. Sie hatten sie vor ein paar Monaten im düsteren Hinterland unterhalb des verfallenen Schlosses gefunden. Mit zerkratzten Brüsten und verfilzten Haaren, die nach Moschus und etwas Unnennbarem rochen. Ihre wilden Augen hatten die Farbe von Absinth und selbst Vanderberg hatte Mühe, Minas giftigem Blick stand zu halten. Sie heulte wie ein Tier, biss einem der Pfleger das halbe Ohr ab und vegetierte die meiste Zeit an ihre Bettstatt gefesselt vor sich hin. Vanderberg pflegte durch die Klappe zu ihr hinein zu schauen und schrak jedes Mal zusammen, wenn er dabei angesprochen wurde.
Der schlaksige junge Professor aus gutem Hause hatte sich bereits früh für die Erkrankungen der menschlichen Psyche interessiert. Sein Studium in Oxford krönte er mit einer Dissertation cum laude über religiöse Wahnvorstellungen und seine Antrittsvorlesung behandelte die sexuelle Ekstase in den Visionen der Teresa von Avila.
Vanderberg war ein aufgeschlossener, ein liberaler Mann der Wissenschaft, für den es keine Tabuthemen gab. Mit klinischer Kälte war er imstande, die Gefühle, Leidenschaften, Obsessionen und Entartungen der Seele seiner Patienten zu sezieren; Vanderberg wertete nicht, er diagnostizierte.
Nur wenn er traumverloren zu Mina hinein blickte, schien er sich vollständig zu vergessen. Er saugte Minas Anblick in sich auf, trug ihn tags mit sich herum und nachts träumte er von der jungen Frau, die so bezaubernd schön und so verlockend hilflos festgeschnallt auf ihrem Eisenbett lag.
In gewissen Nächten hörte man seltsame Laute aus ihrer Zelle, ein Rascheln wie von großen Flügeln, ein kriechendes Schleichen, als ob ein monströser, schuppiger Körper über die kalten Steinfliesen gleiten würde. Das waren die Nächte, in denen Minas Schreie kehliger wurden und einem urtümlichen und unsagbaren Rhythmus zu folgen begannen. Es waren die Nächte, in denen Vanderberg schlaflos blieb und, den Kopf in die Hände gestützt, erwog, den Priester aus dem Dorf holen zu lassen.
Niemand konnte sich erklären, wie die blutunterlaufenen Male auf Minas weißen Körper kamen. Nichts schien dem mysteriösen Prozess Einhalt gebieten zu können, der ihren Körper entstellte und ihren Geist zermarterte. Wenn er wenigstens die Ursache ihres Leidens hätte finden können - er hätte seine unsterbliche Seele dafür gegeben.
Hartungs Gummisohlen quietschten laut auf dem Linoleumboden, während er versuchte, mit Vanderberg Schritt zu halten. Minas Schreie verstummten unvermittelt. Vanderberg überfiel eine schlimme Ahnung und er begann zu rennen.
Hastig schlossen die beiden Männer die Tür zu Minas Zelle auf. Vanderberg hörte noch ein grässliches Schlurfen und es schien ihm, als krabble ein formloser Schatten mit widernatürlichen Bewegungen durch die Zellenmauer davon. Dann herrschte entsetzliche und vollkommene Stille.
Vor ihnen lag der grotesk verdrehte Körper Minas.
Und zwischen ihren Beinen, in einer blutigen, stinkenden Lache, krümmte sich stumm das Unerträgliche - ein halb ausgebildetes Zwischenwesen, das ihn für den Rest seines Lebens in seinen Träumen verfolgen sollte.
ElsaLaska - 17. Dez, 21:51
Und deine Unfruchtbarkeit ist die Unfruchtbarkeit der Schmetterlingspuppe. Aber du wirst wieder geboren werden, verschönt von den Bäumen. Auf dem Gipfel des Berges, wo deine Probleme gelöst sind, wirst du sagen: „Wie war es möglich, dass ich's anfangs nicht verstanden habe?" Als ob es anfangs etwas zu verstehen gegeben hätte. Antoine de Saint-Exupéry: Die Stadt in der Wüste
Die alleinstehende Ingeborg Klestila war auf Inspektionsreise für den Europäischen Rat in Nord-Ossetien gewesen, als ihr in Wladikawkas eine dralle Inguschin ein schreiendes Bündel auf den Arm legte und wortlos davonging. Frau Klestila wickelte neugierig die braune Steppdecke auseinander, nahm das rothaarige Mädchen mit nach Deutschland und taufte es auf den Namen Chrysalie. Der Adoptionsantrag wurde nach einigem Hin und Her bewilligt.
Wenn sie nicht auf Reisen waren, bewohnten Mutter und Tochter eine baufällige Windmühle ohne Windrad an der holsteinischen Küste. Immer wenn in der Nacht ein Sturm aufkam, erinnerte sich das gebrechliche Holzhaus an seine einstige Bestimmung: dann fuhr der Wind um die Mühle herum wie um einen Ozeandampfer, die uralte Balkenkonstruktion pflügte sich wie eine Barkasse durch die Luftwirbel, und die kleine Chrysalie träumte von Eisbrechern vor Feuerland und Leuchttürmen in meterhoher Brandung. Sie schlief in einem Zimmer unter dem Dach mit Fotos von den Geschlechtertürmen in San Gimignano und Bauplänen von bretonischen Leuchttürmen. Ihr Schlaf wurde von den Petronas Towers bewacht und auf ihrem Lieblingsbild fanden sich die Towers of Silence, in denen die Parsen in Bombay ihre Toten aufhängen, damit die Leichen nicht die Erde beschmutzen.
Sie sehnte sich danach, einen Turm zu bewohnen, dessen Tür sie verschließen und dessen Eingang sie vermauern konnte. Den sie dann hochsteigen, nie mehr verlassen und von dessen Fenster sie Pech hinabgießen würde, wenn jemand unten stünde.
Als Chrysalie 14 Jahre alt geworden war, engagierte Ingeborg, die vom Wert einer zweisprachigen Erziehung überzeugt war, eine porzellanhäutige englische Gouvernante. Die liebenswürdige Miss Peel schenkte ihrer Schülerin das erste Schmetterlingsnetz; eine Enzyklopädie der Nachtfalter wollte Chrysalie schreiben.
Also gingen sie mit einer brennenden Petroleumlampe in die Julinächte, streiften über die Wiesen und Felder und schüttelten zuhause ihre fast knielangen Haare kopfüber auf einem weißen Laken aus. Darauf landeten neben Glühwürmchen und Grassamen auch ein paar Silbermönche oder Grüne Eicheneulchen. Chrysalie zeichnete und katalogisierte die Beute bis zum Morgengrauen. Miss Peel schlief bei ihr im Bett, sammelte ihre Haare vom Kopfkissen und fertigte daraus Fußringe für die Falter an, damit Chrysalie erkennen konnte, ob sie dieses Nachtpfauenauge oder jene Pronuba schon einmal gefangen und skizziert hatte.
Ingeborg Klestila entließ Miss Peel kurzerhand, als sie einmal unerwartet von einer Reise aus Ruanda zurückkehrte und Gouvernante mit Schülerin im Bett vorfand. Das Abschiedsgeschenk für Chrysalie, einen Vogelkäfig mit einer Wacholderdrossel darin, durfte Miss Peel nicht mehr selbst überreichen.
Die besorgte Mutter veranlasste die Umquartierung ihrer halbwüchsigen Tochter in einen verlassenen Turm an der Ostseeküste, im Hinterland von Wismar. Chrysalie lebte dort einsam zwischen ihren Notizen und handkolorierten Zeichnungen von Schwärmern, Wicklern und Federgeistchen. Sie hatte ihr Haar, das seit Miss Peels Abschied wie ein Dutzend Kupferottern von ihrem Kopf herabhing, nicht mehr zum Faltersammeln benutzt und stellte stattdessen eine Laterne ins offene Fenster, um die Tierchen anzulocken. Die Ausbeute war mager, aber so sparte sich Chrysalie den Weg hinaus aufs Feld: die vielen Treppen waren anstrengend; und sie verließ den Turm nur noch ein Mal die Woche, um etwas geräucherten Fisch, Roggenbrot oder Wein einzukaufen.
Ihre Mutter schrieb aus Ruanda – Chrysalie zog die Post mit einem Körbchen an einer Leine hinauf. Ihre Bewegungen wurden träger, die Reaktionen verlangsamten sich und es kam der Tag, an dem ihre Finger nicht einmal mehr den Kohlestift halten konnten. In der darauffolgenden Nacht träumte sie von einem Kokon aus Bronzefäden, in dem sie matt verglühte.
Nur mühsam konnte sie am nächsten Morgen die Augen öffnen, an Aufstehen war fast eine Stunde lang gar nicht zu denken. Sie wollte den Turm verlassen, ein Haus an der Küste oder auf der Insel Poel mieten, aber was würde dann aus ihrer Enzyklopädie werden? Nein, Chrysalie wollte ihre Arbeit zu Ende bringen, konnte aber oft nur noch ihre Hand aus dem Turmfenster halten, als wäre sie ein polynesischer Navigator, der die Meeresdünung prüft, um mit den Wellenmustern die Position seines Schiffes zu bestimmen.
Die wenigen Nachtfalter, die noch hereingetaumelt kamen, waren ausgezehrt und entkräftet. Mit sparsamen Handgriffen bereitete sie ihnen Honigwasser zur Stärkung und bemerkte dabei rätselhafte Glyphen auf ihren Flügeln, die wie mit Safranstaub aufgepinselt wirkten.
Eines Morgens fand sie die Wacholderdrossel, die schon seit geraumer Zeit nicht mehr sang, am Boden des Käfigs mit weitaufgerissenem Schnabel: verendet bei ihrer letzten Anstrengung, gegen das eigene Schweigen anzusingen. Der Winter kam, und sie unterbrach ihre eigentliche Arbeit, um die Schriftzeichen, die sie auf einigen der Falter gefunden hatte, zu entschlüsseln. In diesen Nächten stand der Mond wie festgenagelt am Himmel, die Schneeflocken bildeten einen eisigen Spitzenvorhang vor ihrem Fenster und die Sterne funkelten nicht mehr. Chrysalie hatte die Botschaft endlich entziffert.
Die traurigen Blütenstaubworte kamen vom königlichen Hüter der Bienen, der seine Verzweiflung auf Falterflügeln in die Nacht hinausgeschickt hatte. Eine Seuche hatte seine Völker ausgerottet: ihre Brut war verfault; und auf der Tafel des Königs von England fehlte seither der Honig.
Chrysalie weinte ruhig, als sie die Botschaft begriff, und wollte dem Hüter antworten. Doch sie war erschöpft von dem langen Winter und fiel in einen dunklen, traumlosen Schlaf, der ihr die Seele heraussog .
Als sie wieder aufwachte, sangen die Lerchen, und Motten hatten Nester in ihrem Haar gebaut. Sie stand auf, rasierte sich den Schädel und packte ihr Bündel.
Dann verließ sie den Turm für immer.
ElsaLaska - 17. Dez, 21:00
Donnerstag, 15. Dezember 2005
tropifrutti landgranattoleranzen
berieseln kontextsensitive pleonasmen
in meinem hirn
wird es nacht global gesehen?
dreieinigkeitsinstitutionen zucken
alle sechs schultern
ignore
l i f e
ElsaLaska - 15. Dez, 21:04
"Wenn ich mit einem Spaten die Erde umsteche, kommt es mir vor, als fahre der Spaten krachend in meinem Brustkorb, wenn ich das Gemüsebeet umgrabe, kommt es mir vor, als haue ich mir die Hacke in den Kopf, wenn ich in der Sonne die Beete gieße, kommt es mir vor, als stünde ich in prasselndem Regen, wenn ich die Tomatenstangen in den Boden stecke, kommt es mir vor, als treibe ich mir einen Pfahl ins Herz, wenn ich Weidenzweige für eine Ostergerte schneide, kommt es mir vor, als schneide ich mir die Finger ab. Jede meiner Handlungen fällt auf mich zurück, und so bin ich tagtäglich Zeuge und Urhaber meiner Dramen. Erlöst werde ich einzig und allein durch die Liebe zu meinen Katzen, obwohl ich sie jeden Tag am liebsten erschießen würde.
Wer aber wollte nicht Gott erschießen, wenn man ihn treffen könnte?"
aus: Heft der ungeteilten Aufmerksamkeit von Bohumil Hrabal
ElsaLaska - 15. Dez, 20:55